Leben im Süden: Interview mit dem Künstler Wolfgang Lass, der seit 2011 auf Madeira lebt

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Auswandern, im warmen Süden zu leben, von dort aus zu arbeiten oder den Ruhestand zu genießen, das ist der Traum von vielen Nordeuropäern. Auch wir träumen davon. Also wollten wir herausfinden, ob die Lebensqualität tatsächlich besser ist, wenn man dort lebt.

Oder ob es nicht nur Urlaubssentimentalität ist, die das Leben im Süden so erstrebenswert erscheinen lässt. Dass das Leben auf Dauer aber vielleicht doch ganz anders ist?

Leben und Arbeiten im Ausland

Wir haben jemanden gefragt, der nach Madeira ausgewandert ist: den 1964 in Mecklenburg-Vorpommern geborenen Wolfgang Lass. Nach mehreren Stationen als Koch, Restaurant-Chef und Schauspieler fand er 2004 seine Berufung als freischaffender Maler und Künstler. Er lebte zunächst auf La Palma, Teneriffa, auf dem Festland Spanien und später in Lissabon und Sintra in Portugal. Bis er 2011 für ein Kunstprojekt nach Madeira gerufen wurde und dort blieb. Das Projekt war die künstlerische Bemalung von Türen im Altstadtviertel Zona Velha von Funchal. Dieses Viertel wurde im Februar 2010 durch eine gewaltige Schlammlawine nahezu verschüttet. Die Regierung plante danach eine umfangreiche Sanierung. Und ein spanischer Fotograf hatte das Projekt arte de portas abertas, die Kunst der offenen Türen ins Leben gerufen.

Künstler im Atelier mit langen blonden Haaren
Der Künstler Wolfgang Lass © Siegbert Mattheis
Bild zeigt eine Nixe von hinten auf einer Schaukel
Von Wolfgang Lass bemalte Tür © Siegbert Mattheis

Wolfgang, wie kamst du nach Madeira?

Ich hatte damals in Lissabon gelebt und als Künstler und nebenbei auch als Koch gearbeitet. Da bekam ich eine Mail von Freunden aus Madeira, die mir von dem Kunstprojekt erzählen und meinten, das könnte mich interessieren. Also flog ich im Mai 2011 hin, um mir das Altstadtviertel anzusehen. Aber damals waren die Gassen noch voller Schlamm, man konnte gerade mal die Hausnummern über den Türrahmen erkennen. Da war nichts zum Bemalen. Also bin ich wieder zurück. Als dann der Schlamm im September entfernt war, bin ich wieder hingeflogen.

Ich hab dem damaligen Kultusminister João Carlos Abreu in der Rua de Santa Maria meine Mappe präsentiert. Der hat genickt, mir eine Tür zum Bemalen gezeigt und gemeint: „Hier! Kannst loslegen!“ Es war schon etwas dunkel, aber ich hab dann sofort angefangen. Das war die erste Tür mit der Hausnummer 116.

Frau sitzt auf Felsen am Meer
Bemalte Tür 2023 © Siegbert Mattheis
Weißes Segelschiff auf braunem Papier
Eines seiner vielen Segelschiffgemälde © Wolfgang Lass

Geld verdienen im Ausland

Wie hast du nach deiner Ankunft auf Madeira deinen Lebensunterhalt bestritten?

Ich hatte mich an die Mole gestellt und an Touristen meine Bilder verkauft. So bin ich auch mit einigen Einheimischen in Kontakt gekommen und hab mir gesagt: eigentlich passt hier doch alles, warum sollte ich hier wieder weg? Ich hab dann auch ziemlich schnell eine Wohnung gefunden, für 350 Euro im Monat und als Gegenleistung ein paar Hausmeisterarbeiten. Also hab ich beschlossen, hier zu bleiben. Dann ergab sich die Chance, eine große Galerie als offenes Atelier auf 3 Etagen mit 9 Künstlern aus 5 verschiedenen Ländern zu gründen, die „Espaco das Artes”.

Das offene Atelier hat dann Touristen angezogen, wir konnten Bilder verkaufen, hatten Workshops gegeben, Veranstaltungen und Theatervorstellungen organisiert uvm. Das lief so gut, dass dann allmählich eine Art kulturelles Zentrum in der Altstadt entstanden ist, was es vorher noch nie so gegeben hatte.

Kontakt zu Einheimischen

Wie schnell bist du mit den Einheimischen in Kontakt gekommen?

Zunächst musste ich natürlich die Sprache lernen, denn Madeirensisch ist ein eigener portugiesischer Dialekt. Ich konnte zwar etwas Spanisch, aber das hier erschien mir wie Russisch. Ich konnte zwar alles lesen, aber ich hatte kein gesprochenes Wort verstanden. Also hab ich mich ein halbes Jahr lang immer in die Busse gesetzt und den Leuten zugehört. So konnte ich dann langsam immer mehr verstehen.

Trotzdem passierte die ersten 2 Jahre lang gar nichts. Man grüßt sich freundlich, spricht auch mal ein paar Worte miteinander, aber im Grunde lernt man niemanden kennen.

Mit dem Erfolg der Galerie kamen nach zwei Jahren auch Einheimische auf mich zu, die sich gewundert hatten, warum ich immer noch hier war. Sie wollten dann mehr von mir wissen und auch ihre Türen bemalt haben oder gaben mir Auftragsarbeiten für ihre Häuser. Inzwischen kenne ich fast alle Restaurantbesitzer und die gesamte Nachbarschaft hier.

Nach der Schlammlawine waren die Häuser leer?

Die meisten Häuser waren leer, nur einige Ältere in den oberen Etagen sind geblieben. Die bemalten Türen und das Atelier wirkten wie ein Magnet auf die Touristen und so wurden auch einige Restaurants in der Rua de Santa Maria eröffnet.

Also haben Kultur und Kunst die Wirtschaft in Funchal angekurbelt?

Ja, es war für mich allerdings schon das dritte Mal so. Ich hatte das Gleiche in Dresden-Neustadt gemacht. Das war auch damals ziemlich runtergekommen. Wir hatten immer irgendwelche Kunstprojekte gemacht, das hat Leute angezogen und dazu geführt, dass Restaurants und Hostels aufgemacht haben. Genauso wie in Berlin.

Du hast deine Frau auch hier kennengelernt?

Ja, Anastasyia ist die Tochter eines Weißrussen, der hier schon lange lebt. Sie wollte bei mir Malkurse nehmen. Aber als ich sie hab malen sehen, dachte ich, wow, ich sollte lieber einen Kurs bei ihr nehmen, so gut ist sie. So haben wir uns kennengelernt und bald darauf geheiratet. Sie ist viel besser in Portraitmalerei als ich und hat hier auch ihre Leidenschaft für das Bemalen von Azulejos entdeckt.

Zum Instagram-Account von Anastasyia Lass

Frau hält Tablett mit Azulejo-Fliesen vor sich
Anastasyia Lass mit einem ihrer Werke © Wolfgang Lass / Madeiraazulejos
Der Künstler Wolfgang Lass vor vielen seiner Bilder
Wolfgang Lass in seinem Atelier © Siegbert Mattheis

Wie ist das mit der Bürokratie hier im Süden auf Madeira?

Also irgendwie schon wie in einer Bananenrepublik (lacht). Ich hasse Bürokratie, aber dadurch, dass meine Frau Weißrussin, also keine EU-Bürgerin ist, musste ich mich dazu durchringen und zwingen, mich auch mehr oder weniger mit Bürokratie zu beschäftigen, damit sie hier wohnen kann und ich auch für sie bürgen kann. Also man muss dann viel Papierkram erledigen, was ich vorher nie gemacht hatte. Wenn du übrigens die Sprache nicht kannst, machen sich die Behörden einen Spaß daraus, dich von einem zum anderen zu schicken. Wir haben dann auch das Gewerbe angemeldet, denn die erste Bedingung für Ausländer ist, dass sie sich selbst versorgen können. Da ist Portugal hart. Wenn du dich nicht selbst versorgen kannst, musst du wieder gehen. Man muss sich übrigens in den ersten 5 Tagen des Aufenthaltes hier bei der Ausländerbehörde anmelden. Für Urlauber übernehmen das in der Regel die Hotels oder Appartementbesitzer.

Und wie ist das mit der Krankenversicherung?

Man sollte schon eine Krankenversicherung haben. Es gibt zwar eine Grundversorgung, die ist aber so schlecht, dass es sich nicht lohnt. Ansonsten musst du eben alles privat bezahlen.

Wie sieht dein Tag hier aus?

Ich lebe ziemlich gesund. In der Regel stehe ich zwischen sechs und halb sieben Uhr auf. Dann trinke ich erstmal ein Glas heiße Zitrone. Das ist immer das erste, was ich morgens mache. Dann gehe ich mit unserem Hund Mira (die uns zugelaufen ist) eine Dreiviertelstunde Gassi, mache etwas Frühsport am Strand, gehe schwimmen und dann zurück, um ausgiebig zu frühstücken. Anschließend bereite ich in der Galerie alles vor, mache die Lichter an, öffne die Tür und bereite dann für meine Frau, die meist sehr spät ins Bett geht, etwas zu essen zu. Danach malen wir beide oder beschäftigen uns mit unseren Projekten. Kein Stress (lacht).

Altes gelbes Fort am Meer
Traumhafte Badekulisse in der Altstadt: das Forte de São Tiago © Siegbert Mattheis

Das klingt nach einem traumhaften Leben. Das wäre so in Deutschland vermutlich nicht möglich?

Absolut nicht. Das geht ja schon damit los, dass du keine für einen Künstler bezahlbare Räume findest. Wenn dann vielleicht auf einem Dorf, aber da kommt ja kein Mensch hin. Ich dachte, wenn du Geschäft mit Kunst machen willst, dann solltest du da sein, wo du mindestens zu 80% auf glückliche Leute triffst. Das heißt, das kann ja nur eine Urlaubsregion sein, wo die Leute entspannt sind und Zeit und Geld haben.

Ein guter Tipp! Du bist ja jetzt gerade 60 geworden. Ist Ruhestand ein Thema für dich?

Kein Thema! Dann kann ich mich gleich auf die Erde legen. Das macht keinen Sinn für mich, ich muss immer was tun.

Würdest du sagen, dein Leben ist genau das, was du gesucht hast?

Ja, zur Zeit ja! Man soll ja nie nie sagen, dass nicht noch eine Veränderung kommt. Wir haben immer alle Antennen und Ohren offen für ein Haus. Auf jeden Fall auf dieser Seite der Insel, vielleicht etwas weiter oben. Das muss jetzt nicht unbedingt sein, aber es kann ja mal sein, dass der Vermieter oder der Sohn plötzlich eine Umbau-Idee hat und wir raus müssten. Aber das Mietrecht ist hier ganz gut, es wird nicht so einfach, uns hier rauszukriegen.

Tipps für das Leben im Ausland

Welche Tipps würdest du jemandem geben, der hierher ziehen will?

Der erste Tipp: Bring viel Geld mit! Oder ein gutes Konzept, um dich selbstständig zu machen. Hier ein Angestelltenverhältnis zu suchen, das kann man vergessen. Der Mindestlohn liegt hier bei knapp über 700 Euro. Und davon leben knapp zwei Drittel der Bevölkerung. Selbst die besten Köche verdienen hier nur um die 1.000 Euro, Polizisten kriegen 900 Euro.

Trotzdem liegen die Lebenshaltungskosten ja nur wenig unter dem in Deutschland

So sieht’s aus. Die Armut ist groß hier. Wenn hier der Familienzusammenhalt nicht wäre, würde nichts mehr funktionieren.

Kennst du viele Auswanderer aus Deutschland, die hier leben?

Ja. Es gibt mehrere Gruppen, die sich treffen. Die Deutschen gehen auch ziemlich relaxt miteinander um. Entweder man mag sich, oder man mag sich nicht. Die meisten haben auch genug Geld, sind gut situiert und leben ein ruhiges Leben hier. Es gibt ganz viele Deutsche, die hier leben, 30 Jahre schon und länger, die sprechen kein Wort Portugiesisch, weil sie es nicht brauchen. Die haben ihre Angestellten, da kommt jemand zum Putzen jeden Tag. Die können zumindest ein bisschen Englisch oder man behilft sich mit Händen und Füßen. Alles andere kann man mit Englisch regeln. Viele Leute leben aber im Prinzip in ihrer Glasglocke. Sie treffen sich dann einmal mit anderen Deutschen und erzählen sich immer, wie schlecht alles hier ist und nichts funktioniert. Aber sie leben ja hier (lacht). Manchmal gibt es aber auch gute Treffen, bei denen nicht gemeckert wird, sondern wo vom schönen Garten, vom netten Nachbarn oder vom herrlichen Wetter berichtet wird.

Sind die Leute hier glücklicher aufgrund der Lebensqualität?

Die Einheimischen auf dem Land auf jeden Fall. Die sind einfach zufrieden mit dem, was sie haben, das merkt man. Sie sind sowas von relaxed, gelöst und neugierig. In der Stadt ist es ein bisschen anders, da sind viele junge Familien in der Kreditmühle drin und kommen da kaum raus. Bei den Auswanderern ist der Großteil schon glücklich hier, meine ich.

Gehen auch viele Auswanderer wieder zurück?

Also, es gibt einige, die wieder zurückgehen. Die meisten gehen aus gesundheitlichen Gründen. Das sind die, die mit einem knappen Budget herkommen und immer nur von Monat zu Monat leben können. Solange sie gesund sind, geht das alles noch. Aber wenn die Probleme mit der Gesundheit kommen, ist es hier ja auch nicht billig. Und leider Gottes ist die die staatliche Versorgung katastrophal. Das muss man auch immer mitbedenken.

Claudia und Siegbert Mattheis mit Wolfgang Lass in der Mitte
Nach dem Interview © Siegbert Mattheis

Ist die Insel nicht zu klein, um hier dauerhaft zu leben?

Um Gottes willen, nein! Ich bin ja nun schon fast 14 Jahre hier und ich habe noch lange nicht alle Ecken gesehen. Es geht hier so vieles, vor allem an Natur zu entdecken!

Was vermisst du von Deutschland?

Hm, vielleicht eine richtig schöne Thüringer Bratwurst, Quark mit Schnittlauch und Zwiebeln oder einen Rollmops. Aber das muss ich jetzt auch nicht unbedingt haben.

Wolfgang, vielen Dank für das Gespräch!

Link zur Galerie von Wolfgang und Anastasyia Lass

Das Interview führten Claudia und Siegbert Mattheis

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