Gangi, was ist aus dem 1-Euro-Dorf auf Sizilien geworden?

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Gangi im Norden von Sizilien, eines der schönsten Orte in Italien (I borghi più belli d’Italia), war vor 2014 nur Insidern oder Wanderern der nahe gelegenen Monti Madonie bekannt. Bis der Bürgermeister Giuseppe Ferrarello aufgrund der anhaltenden Landflucht beschloss, 31 verlassene Häuser für 1 Euro zu verkaufen.

Unter der Bedingung, dass die neuen Eigentümer diese innerhalb von fünf Jahren renovieren und mindestens 35.000 Euro in die Renovierung stecken. Die Meldung erregte Aufmerksamkeit und ging durch die Presse. So gelangte der Ort international zu einer kleinen Berühmtheit. Und die Initiative fand viele Nachahmer in Italien.

Das Dorf klebt wie eine Kappe am Berg
Das "1-Euro-Dorf" Gangi © Siegbert Mattheis

Heute hat sich die 1-Euro-Initiative ausgezahlt

Das Dorf, etwa eine Autostunde von Cefalù entfernt, ist zwar noch kein Touristen-Hotspot, aber es erstrahlt in neuem Glanz. Denn durch die Einnahmen der einheimischen Handwerker und Zulieferer, die die Häuser der Käufer renovierten, die sogar aus den USA und Australien kamen, konnte vieles erreicht werden. Zum einen wurde der weitere Wegzug vieler junger Menschen verhindert, zum anderen konnten sich die Einheimischen ihre eigenen Häuser selbst erneuern und eine Zukunft sichern. Und auch der Tourismus spült inzwischen Geld in die Kassen der Gemeinde.

Blick über hügelige Landschaft
Blick Richtung Süwesten © Siegbert Mattheis

Blick auf den Ätna und auf weite Hügel mit Weizenfeldern

Schon von weitem hat uns Gangi fasziniert, wie es sich quasi an einen steilen Berghang klammert. Und im Hintergrund konnten wir den Ätna sehen. Alle anderen Dörfer in der Umgebung sind oben auf Bergkämmen oder Felsvorsprüngen errichtet, Gangi jedoch belegt wie eine Art Kappe den westlichen Hang. Die östliche Seite ist mit Pinien bewaldet.

Hinter dem Ort sieht man den schneebedeckten Ätnagipfel
Bei klarem Wetter sieht man den Ätna hinter Gangi © Siegbert Mattheis
Gasse mit Ährengirlande zwischen den Häusern
Schön renovierte Häuser in Gangi, die Ähren hängen noch vom Getreidefest im August © Siegbert Mattheis

Sehenswürdigkeiten in Gangi

Kirche San Paolo

Die erste Sehenswürdigkeit in Gangi könnt ihr gar nicht verpassen, denn die kleine Kirche San Paolo liegt direkt vor euch, wenn ihr oben in Gangi angekommen euren Mietwagen auf dem Parkplatz abstellt.

Kirche aus Naturstein
Kirche San Paolo © Siegbert Mattheis
Vier Marmorsäulen
Einzigartige Säulen im Inneren © Siegbert Mattheis

Aufgefallen ist uns, dass das Kirchenschiff von den Seitenschiffen durch ein seltenes System von Säulenpaaren getrennt ist, die auf einem hohen Sockel ruhen und mit floralen und anthropomorphen Motiven des Schnitzers Andrea Bonanno verziert sind. San Paolo wurde im 15. Jh. erbaut und 1812 restauriert. Wenn ihr genau hinseht, könnt ihr das Datum der Restaurierung auf dem Marmoraltar entdecken.

Palazzo Bongiorno

Wenn ihr der ausgeschilderten unteren Touristenroute (auch auf chinesisch) weiter folgt, kommt ihr an einem kleinen, empfehlenswerten Café mit Terrasse und herrlicher Aussicht vorbei. Es liegt direkt am ehemaligen Palazzo Bongiorno. Der ist eines der schönsten Bauwerke der Architektur des 18. Jahrhunderts in den Madonie-Bergen. Er wurde um 1755 von Baron Francesco Benedetto Bongiorno errichtet. Dieser historische Palast ist ein schönes Beispiel für sizilianische Prachtarchitektur. Heute ist er Sitz der Gemeindeverwaltung.

Fenstertüren in Gebäude mit geschwungenem Balkongitter
Palazzo Bongiorno © Siegbert Mattheis
Sonnenschirm an Geländer
Kleine Café-Bar mit Ausblick neben dem Palazzo Bongiorno © Siegbert Mattheis

Campanile und Chiesa Madre

Links und rechts gehen malerische, teilweise extrem steile Gassen ab, mit Kunst an den Mauern oder Blumenkästen auf den Stufen. Dann seid ihr auch schon an der wichtigsten Sehenswürdigkeit von Gangi. Dem Glockenturm „Dei ventimiglia“. Der wurde im 14. Jh. errichtet und 1560 an die dahinterliegende Mutterkirche, die Chiesa Madre von San Nicolò di Bari angeschlossen. (Wie Sankt Nikolaus (San Nicolò) nach Bari kam, könnt ihr hier in unserem Blogartikel über die schönsten Sehenswürdigkeiten in Bari nachlesen). Die Uhr auf dem Campanile stammt aus dem Jahr 1758.

Turm mit Uhr und Kirche
Uhrturm und Chiesa Madre di San Nicolò di Bari © Siegbert Mattheis
Arkaden mit Blick auf die Landschaft
Arkaden unter dem Uhrturm © Siegbert Mattheis

Die Kirche beherbergt u. a. Fresken aus dem 18. Jahrhundert und eine Krypta mit Mumien von Priestern in ihren damaligen Gewändern, ähnlich wie die in Palermo. Das ist eine etwas makabre Schau, die ihr nur mit Voranmeldung besuchen könnt.

Bronzestatue von Giuseppe Salerno

Vor dem Campanile steht die lässig ans Geländer gelehnte Statue des Malers Giuseppe Salerno, der von 1570 bis 1633 in Gangi lebte. Eins seiner Tafelbilder, das Jüngste Gericht (Giudizio Universale) von 1629, könnt ihr in der Chiesa Madre sehen. Giuseppe Salerno wurde aufgrund eines Gehfehlers “Zoppo di Gangi” („Der Lahme aus Gangi“) genannt. So signierte er auch später seine vielen Bilder in ganz Sizilien.

Frau neben Skulptur
Skulptur Giuseppe Salerno © Siegbert Mattheis
Gemälde
"Das Jüngste Gericht" von Giuseppe Salerno © Foto: Siegbert Mattheis
Häuser, die sich den Hügel hinab erstrecken mit weitem Blick über die Landschaft
Blick in die Unterstadt von Gangi © Siegbert Mattheis

Palazzo Sgadari

Danach kommt ihr am Palazzo Sgadari aus dem 14. Jh. vorbei, der heute u. a. das Stadtmuseum und das Archäologische Museum beherbergt.

Palast mit Europa- und Italienfahne
Stadtmuseum im ehemaligen Palazzo Sgadari © Siegbert Mattheis
3-stöckiges Haus aus Bruchsteinen
Schmale Gassen © Siegbert Mattheis

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Chiesa di San Cataldo

Bevor die Touristenroute eine Kurve nach oben macht, gelangt ihr zur Chiesa di San Cataldo mit einer sehenswerten kegelförmigen Kuppel aus glasierten Majolika-Ziegeln. Diese stammen vermutlich aus der ersten Hälfte des 16. Jh. Kurz zuvor ist auf einer Tafel auch die einzigartige Restaurierung der gerundeten Ziegeln erklärt, allerdings nur auf Italienisch. Aber ihr könnt das ja mit Google Translate oder mit eurer Foto-App übersetzen lassen.

Kirche mit kegelförmiger Kuppel
Chiesa San Cataldo © Siegbert Mattheis
Kuppel mit farbigen Kacheln
Die einzigartige Kuppel aus gerundeten Majolika-Kacheln © Siegbert Mattheis
Kleines Häuschen vor weiter Landschaft
Überall Treppen und schöne Plätze © Siegbert Mattheis
Zwei halbverfallene Häuser
Beide Häuser sind noch zu verkaufen © Siegbert Mattheis

Direkt vor der Kirche stehen übrigens noch zwei kleine Häuser zum Verkauf. Dann geht es etwas steil bergauf, durch verwinkelte Gassen, dem schönen Restaurant Baglio Tramontana mit Panoramaterrasse vorbei.

Chiesa Madonna della Catena

Links seht ihr dann die Chiesa Madonna della Catena aus dem 14. Jh. und 15. Jh., eine der ältesten Kirchen im Dorf. Gewidmet ist sie der Madonna della Catena. 1392 riefen drei zum Tode verurteilte junge Menschen die Madonna an. Die sprengte daraufhin ihre Ketten und sie hörten eine Stimme, die ihnen sagte, dass sie frei seien. Diese Legende wird auch im Flachrelief erzählt, das sich im Sockel der Marmorstatue der Madonna befindet.

Chiesa Madonna della Catena © Siegbert Mattheis
Schild mit Touisristenroute auch auf chinesisch
Das Dorf wird auch von vielen Chinesen besucht © Siegbert Mattheis

Castello di Gangi

Die Burg auf dem höchsten Punkt des Monte Marone wurde Ende des 13. Jh. erbaut und war lange Zeit der Sitz der Herren der Grafschaft. Im Laufe des 17. Jahrhunderts erfuhr der alte Herrensitz zahlreiche Umbauten, sodass daraus eher ein Palast als eine Burg wurde. Als Sitz der Fürsten von Gangi wurde es bis Mitte des 18. Jhs. bewohnt. Danach blieb das Gebäude verlassen und wurde zunächst als Gefängnis und später als Schule genutzt, bis es von der Familie Milletarì erworben wurde, die es noch heute als ihren privaten Wohnsitz nutzt.

Trutzige Mauern mit kleinen Fenstern
Castello von Gangi © Siegbert Mattheis
Beigefarbener Eingang im Mussolini-Stil
Schule unter Mussolini erbaut © Siegbert Mattheis

Mussolini-Architektur

Danach kommt ihr an dem wohl ungewöhnlichsten Bauwerk vorbei: einer Schule im Mussolinistil aus dem Jahr 1934. Auch sie konnte wie viele andere Bauten mit den Geldern aus der 1-Euro-Initiative im Jahr 2017 restauriert werden.

Weitere Besonderheiten

  • Am 1. Januar 1926 war Gangi Schauplatz eines Großeinsatzes von Polizei und Carabinieri unter Führung von Cesare Mori gegen die Brigantenbanden und die Cosa Nostra, die sich in Gangi eingerichtet hatten.
  • Wim Wenders drehte u. a. hier seinen Film Palermo Shooting.
  • 2014 wurde Gangi in einem großen Zuschauervoting des TV-Senders „Rai Tre“ zum schönsten Dorf Italiens gewählt.
  • Der holländische Künstler M.C. Escher, der viele Jahre in Italien lebte, zeichnete nach einem Besuch der Krypten im Jahr 1932 ein Kunstwerk, das diese Mumien darstellt, mit dem Titel “Mumifizierte Priester in Gangi, Sizilien”.

Es stehen in Gangi noch immer einige Häuser zum Verkauf. Also wenn ihr euch euren Traum vom Leben im Süden (für 1 Euro 😉 ) verwirklichen wollt, ruft den Bürgermeister an. Ansonsten ist Gangi einen Besuch auf jeden Fall wert!

Siegbert Mattheis

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