Die Lavreotika-Affäre, Börsencrash, Aufstieg und Niedergang von Lavrio an der Südspitze von Attika

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Einst verhalfen die Silberminen von Lavrio der Stadt Athen und Griechenland zum Aufstieg als See- und Handelsmacht. Sie förderten die demokratischen Entwicklungen und sind sogar die Ursache für das Europa, das wir heute kennen.

Mehr darüber, wie die Silberminen die Demokratie beförderten.

Aber die Minen von Lavrio bergen noch ganz andere Geschichten: eine internationale Staatsaffäre im 19. Jh., bei der Italien und Frankreich mit militärischem Eingreifen drohten, ein Börsencrash und ein tragisches Blutbad. Angefangen hatte es mit der Lavreotika-Affäre, die langfristige Auswirkungen auf das Verhältnis der Griech:innen zu ihrem Staat zur Folge hatte.

Ruinen zwischen Kiefern
Ruinen der antiken Silberminen bei Lavrio © Siegbert Mattheis

Neuerschließung und Ausbeutung der Silberminen im 19. Jahrhundert

Fast 2.000 Jahre lang lagen die Minen im Lavriotiki-Gebiet brach. 1860 suchte der aus Bayern stammende König Otto I. von Griechenland dringend nach Einnahmequellen für den noch jungen neuen Staat. Er ließ die Minenfelder durch den Mineralologen Andreas Kordellas untersuchen, um die potenzielle Wiederausbeutung der alten Minen und Schlacke zu bewerten. Der Befund fiel positiv aus, aber bevor der König eine Wiederinbetriebnahme in Angriff nehmen konnte, wurde er 1861 abgesetzt.

Giovanni Serpieri und Roux de Fraissinet et Cie

1864 bekam der italienische Bergbauunternehmer Giovanni Battista Serpieri Wind von der Sache. Sofort gründete er mit anderen Investoren die italienisch-französische Firma Serpieri – Roux Fraissinet C.E. Durch seine Ehe mit der Französin Clemence Leboyl hatte er enge Verbindungen zum Bankhaus Roux de Fraissinet & Cie in Marseille, die wiederum engen Kontakt zum Rothschild-Bankenimperium pflegte. Fraissinet & Cie war eine französische Reederei.

Serpieri sicherte sich die Rechte am Abbau der Erze von Lavrio für 15 Mio. Drachmen. Das war eine der bedeutendsten Investitionen der damaligen Zeit im Industriesektor.

Weiße Marmorstatue vor Häusern
Giovanni Battista Serpieri, Denkmal in Lavrio © Wikipedia
Altes Plakat mit Schiff und Aufschrift "Fraissinet & Cie, Armateurs Marseille"
Plakate der Reederei Fraissinet & Cie © Drouot

Sagenhafte Gewinne, ohne Steuern zu zahlen

Schon 3 Jahre später beschäftigte das Unternehmen etwa 1.200 Arbeiter aus Griechenland, Italien und Spanien und fuhr enorme Gewinne ein. Nach den damaligen Gesetzen musste er keine Steuern an den griechischen Staat abführen. Das rief den Unmut der Bevölkerung hervor, denn man wollte an den griechischen Bodenschätzen ebenfalls partizipieren. Als herauskam, dass das Unternehmen auch alte, noch aus der Antike herumliegende Schlacke verarbeitete, was nicht durch die Konzession abgedeckt war, wurde Serpieri dies 1870 per Gesetz verboten. Der aber glaubte sich im Recht und rief – statt sich an die griechische Justiz zu wenden – gleich die italienische und französische Regierung zu Hilfe.

Internationale Krise mit Sanktionen

So kam es zum Ausbruch einer internationalen Krise, der sog. Lavriotiki-Affäre. Denn Frankreich und Italien forderten 20 Mio. Franc von der griechischen Regierung als Entschädigung für die Gesellschaft. Sie erließen Sanktionen gegen griechische Waren und Reeder und drohten sogar mit militärischem Eingreifen.

Aufteilung der Firma

Das Problem wurde erst nach 3 Jahren unter Vermittlung des Premierministers Epaminondas Deligiorgis gelöst. Er suchte einen griechischen Käufer für das Unternehmen und fand ihn in dem Bankier und Philanthropen Andreas Syggros. So wurde die Firma aufgeteilt in die französisch-griechische Gesellschaft der Kamariza-Mine und in die Metallurgische Gesellschaft von Laurium (Ta Metallourgeia tou Lavriou) in griechischer Hand.

SW-Aufnahme Mann mit Spitz-und Schnauzbart
Premierminister Epameinondas Deligeorgis © Wikipedia
Alte Aktie in grün
Aktie der Metallurgischen Gesellschaft 1873 © Wikipedia

Diese neue Gesellschaft, an der die Regierung, Syggros und Serpieri beteiligt waren, brachte Aktien heraus, um auch die Bevölkerung an den Minen zu beteiligen. So schien wieder alles in Ordnung zu sein.

Aber es kam anders.

Der erste Börsenbetrug in der griechischen Geschichte

Es war eine Kombination aus Bürokratie, Populismus und dem Traum von einfachem und schnellem Geld. Denn bei der Ausgabe der Aktien verbreitete Syggros – und auch die griechische Regierung – das Gerücht, dass sich in den Minen Gold befände. In der Hoffnung auf schnelles Geld erwarben Tausende Griechen Anteile. Der Kurs schnellte in die Höhe. Als sich das Gerücht als unwahr herausstellte, stürzten die Aktien um fast 70 % ab. Dieser Börsencrash (obwohl es damals noch gar keine Börse in Griechenland gab), führte zu einer Verdoppelung der Insolvenzen und zum Wegfall kleiner Ersparnisse. Er wird heute als der größte Kapitaltransfer in Griechenland von der Unterschicht zur Oberschicht bezeichnet. Dem finanziellen Ruin Tausender Familien folgte Anfang Februar 1874 der Rücktritt von Epaminondas Deligeorgis, der für die Entwicklung verantwortlich gemacht wurde.

SW-Foto Mann mit Bart
Banker Andreas Syggros © Wikipedia
Weiße Marmorstatue vor Haus
Staute von Andreas Syngros in Athen © Wikipedia

Diese Lavriotiki- oder Lavrion-Affäre hatte weitreichende Konsequenzen für die griechische Politik und Wirtschaft. Sie führte zu einem bis heute anhaltenden, tiefgreifenden Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung.

Gründung der Compagnie Française des Mines du Laurium (CFML)

Dieser Skandal bedeutete jedoch nicht das Ende der Bergbauaktivitäten in der Region. Serpieri gründete 1875 die Compagnie Française des Mines du Laurium (CFML).

Es gab zwar noch weitere griechische Bergbauunternehmen, diese wurden jedoch nach und nach von den beiden großen Firmen, der Metallurgischen Gesellschaft von Laurium (bis 1917) und der CFML übernommen.

Das Unternehmen florierte weiter, nicht zuletzt durch die Ausbeutung der Arbeiter. Die Bergleute arbeiteten 12 bis 14 Stunden an 7 Tagen der Woche. Neben einem nur geringen Lohn wurde ihnen keinerlei medizinische Versorgung gewährt. Viele der Bergleute lebten direkt bei den Minen in Höhlen oder selbst errichteten Hütten.

Alte SW-Fotografie von mehreren Gebäuden, eins mit Schornstein
Bergwerksgebäude der Compagnie Française des Mines du Laurium (CFML) © Wikipedia
Verfallenes Haus, davor ein Baum, dessen Ast sich in die Mauer bohrt
Ehemaliges Verwaltungsgebäude, von der Natur zurückerobert © Claudia Mattheis
Ockerfarbene Mauerreste
Ruinen der Bergarbeitersiedlung © Claudia Mattheis
Violette Distel vor verfallener ockerfarbener Mauer
Heute von der Natur überwuchert © Claudia Mattheis

Streik der Arbeiter 1896

Das führte im April 1896 zu einem Streik der Arbeitenden. Ihre Forderungen waren Lohnerhöhungen, medizinische Versorgung und die Schaffung eines Krankenhauses in der Nähe. Zudem forderten sie Wohnraum für sich, den Sonntag als arbeitsfreien Tag und die Abschaffung der Subunternehmer, die einen Teil des Lohns der Arbeiter behielten.

SW-Foto, mehrere Menschen vor Fabrikgebäude
Serpieri (rechts mit Gehstock) vor seiner Fabrik © LCTP

Blutig niedergeschlagener Aufstand

Etwa 1.800 Arbeiter näherten sich friedlich den Büros der Compagnie Française des Mines du Laurium, um mit Serpieri zu verhandeln. Ohne Vorwarnung schossen die Wachen jedoch auf die Menge und trafen zwei Männer auf der Stelle tödlich. Daraufhin stürmten die Streikenden die Büros, warfen Dynamit (ihr tägliches Arbeitsmittel) und töteten alle Wachmänner bis auf einen. Giovanni Serpieri selbst konnte sich als Priester verkleidet unerkannt aus dem Tumult retten.

Einsatz des Militärs

In den folgenden Tagen schickte die Regierung Polizeikräfte gegen die Bergleute, die dennoch ihren Streik fortsetzten. Daraufhin wurde eine Militärtruppe in Begleitung eines Kriegsschiffs entsandt. Mit weiteren drei getöteten Arbeitern wurde der Streik nun endgültig niedergeschlagen.

Den Streikenden wurde nur eine leichte Erhöhung ihrer Löhne von 2,5 auf 3,5 Drachmen bewilligt. Die weiteren Bergbauaktivitäten wurden nun unter der Aufsicht einer Militäreinheit fortgesetzt, die sich dauerhaft in der Nähe der Minen niederließ.

Lavrio, die erste Firmenstadt in Griechenland

Die industrielle Entwicklung des Gebiets führte zur Gründung der modernen Hafenstadt Lavrio. Zu Beginn des 20. Jhs. hatte die Arbeitersiedlung bereits 10.000 Einwohner und war somit eine der ersten Firmenstädte. CFML ließ 1885 eine Eisenbahn vom Zentrum von Athen nach Lavrio bauen. 3 Jahre später wurde die Trasse direkt in den Hafen verlängert, um die Schiffe einfacher mit den Erzen beladen zu können.

Eisenbahntrasse führt in den Hafen
Reste der Eisenbahntrasse am Pier in Lavrio © Siegbert Mattheis

Ende des Bergbaus 1977 mit massiven Umweltschäden

Die Minen wurden 1977 geschlossen, nachdem dort in einem Jahrhundert fast 490.000 Tonnen Blei entnommen worden waren. Die Schließung stürzte Lavrio in eine Rezession mit massiver Armut in der Region, die zudem auch mit den giftigen Rückständen des Bergbaus zu kämpfen hatte.

Die Hinterlassenschaften der Bergbauaktivitäten wurden später in den Lavrion Technologie- und Kulturpark (LTCP) überführt und an die Universität Athen angeschlossen.

Erst seit wenigen Jahren versucht die Stadt, am Tourismusboom der Attika-Küste und des nahen Kap Sounion teilzuhaben und baut u. a. die Infrastruktur aus.

Klassizistisches Gebäude, davor Springbrunnen
Das Zentrum von Lavrio © Siegbert Mattheis
Alter Uhrturm
Historischer Uhrturm von Lavrio © Siegbert Mattheis
Restaurant mit wenigen Besuchern
Noch wenige Urlauber:innen in Lavrio © Siegbert Mattheis

Trivia

  • Serpieri starb im Jahr nach dem Streik 1897 im Alter von 65 Jahren. Sein Denkmal steht in Lavrio.
  • 1982 wurde im griechischen Fernsehen eine Serie ausgestrahlt, die den Streik und auch den Lavriotika-Skandal einem breiten Publikum zugänglich machte. Auf Youtube ansehen
  • Andreas Syggros (oder Syngros) starb 1899. Nach ihm benannt ist die südöstliche Ausfallstraße Athens, Leoforos Syngrou und die dort liegende Metrostation Syngrou-Fix.
  • Der in Griechenland berühmte, bei uns nahezu unbekannte deutsche Architekt Ernst Ziller baute 1873 für ihn als Stadtvilla in Athen das Megaro Andrea Syngrou (heute das Außenministerium) sowie ein Landhaus.

Es drängen sich Parallelen zur Lavreotiki-Affäre an, z.B. zur Übernahme von 14 griechischen Flughäfen an die deutsche Fraport-Gesellschaft sowie den Verkauf des Hafens von Piräus an die chinesische Firma Cosco.

Recherche-Quellen:

Über diese Lavriotika- oder Lavrion-Affäre gibt es wenige Quellen auf Deutsch. Wir hatten vor Ort in Lavrio, in den alten Bergarbeitersiedlungen und auf den Ausgrabungen recherchiert. Zusätzlich auf vielen englischen, französischen, italienischen und griechischen Seiten, wie z.B.:

Siegbert Mattheis

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