Anders als heute muss Athen in der zweiten Hälfte des 19. Jh., das sogenannte „Athen von Ziller“ eine wunderschöne Stadt gewesen sein. Denn damals prägten neben dem Parthenon auf der Akropolis eine Reihe von prächtigen öffentlichen wie privaten Gebäuden das Gesicht der Stadt. Bauten im Stil des Neoklassizismus, der Neurenaissance und des Eklektizismus. Und das war im Wesentlichen einem deutschen Architekten und Archäologen zu verdanken: Ernst Ziller.
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Gebäude und Bauten von Ernst Ziller in Athen
“Ernst Ziller steht für talentierten, schwungvollen Eklektizismus.” sagt die Ziller-Expertin Marilena Cassimatis. Viele der von Ziller entworfenen Gebäude könnt ihr auch heute noch im Athener Stadtbild entdecken:
Zum Beispiel:
-
die Akademie
- das Archäologische Nationalmuseum
- die Nationalbibliothek
Diese drei Gebäude wurden später als “Athener Trilogie” bekannt. - das Hotel Grande Bretagne,
- das Schliemann-Haus (heute das Numismatische Museum),
- das Nationaltheater,
- das Zappeion
- das Haus Statathos, (heute das Museum für kykladische Kunst)
und etliche mehr.
Die Hop-On/Hop-Off-Touren * führen an vielen der Bauten vorbei.
Eine ausführlichere Liste findet ihr auch bei Wikipedia.
Warum baute ein deutscher Architekt in Athen?
Wie aber kam es dazu, dass Ernst Ziller von Sachsen nach Griechenland ging und dort über 600 Gebäude entwarf und mehr als 500 davon gebaut wurden? Dass er zum Baumeister des Königs aufstieg und nebenbei das antike Olympiastadion entdeckte und ausgraben ließ? Dass er Heinrich Schliemann zum Freund hatte und Besuch von Karl May bekam? Dass eine Straße in Athen nach ihm benannt wurde (Odos Tsiller), er aber dennoch 1923 ein trauriges Ende nahm?
Stationen im Leben und in der Karriere von Ziller
1. Frühes Leben und Ausbildung: Ernst Ziller wurde 1837 im heutigen Radebeul in Sachsen geboren, in einem von seinem Vater, einem Baumeister, selbst entworfenen Landhaus im Toskanastil. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden und verdiente sich dort bereits einige studentische Auszeichnungen.
2. Architekturbüro Hansen: 1858 fand er eine Anstellung als Zeichner im Büro des dänischen Architekten Theophil Hansen in Wien. Der hatte von dem aus Bayern stammenden, seit 1834 griechischen König Otto I. den Auftrag erhalten, die Akademie in Athen zu bauen. Denn Otto I. wollte die Stadt, die damals nur knapp 10.000 Einwohner zählte, zur repräsentativen Hauptstadt des neuen, nach 1830 unabhängigen modernen Griechenlands aufbauen.
3. Ruf nach Athen: Ein Jahr später nahm der 22jährige Ziller ein Angebot Hansens an, mit ihm in Athen tätig zu sein und fuhr 1861 nach Griechenland. Dort arbeitete er gemeinsam mit Hansen am Bau der Akademie im klassizistischen Stil. Im Jahr darauf wurde Otto I. abgesetzt und die Arbeiten wurden wegen Finanzierungsproblemen zunächst eingestellt.
4. Studien in Italien und Berlin: Ziller nutzte die Zeit, um u.a. in Italien Bauten der italienischen Renaissance und in Berlin die Werke von Schinkel zu studieren. Als unter dem neuen König Georg I. die Arbeiten an der Akademie wieder aufgenommen wurden, kehrte er 1868 nach Athen zurück.
5. Baumeister des Königs: Mit dem 7 Jahre jüngeren König Georg verstand sich Ziller außerordentlich gut, so erzählt es Marilena Cassimatis in einem kurzweiligen Podcast des NDR über Ziller. So knüpfte er erfolgversprechende Verbindungen zur Athener Oberschicht und wurde neben seiner Arbeit mit Hansen auch eigenständig mit dem Bau von Privatvillen beauftragt. Schließlich wurde er sogar Baumeister des Königs.
6. Ziller, Troja und Schliemann: 1864 fuhr Ziller auf Einladung des österreichischen Konsuls zu Ausgrabungsarbeiten nach Troja. Dort fertigte er Zeichnungen an, die in einer Broschüre über die ersten Grabungen erschienen. Diese borgte er dem späteren „Troja-Entdecker“ Heinrich Schliemann, als er ihn zufällig traf, bevor der nach Troja aufbrechen wollte. Das war der Beginn einer langjährigen Freundschaft. Schliemann beauftragte ihn so auch 1879 mit dem Bau seiner Villa in Athen, der Iliou Melathron. Das Gebäude könnt ihr besichtigen, es ist das heute das Numismatische Museum.
7. Ziller und das Olympiastadion: 1869 grub er auf einem von ihm schon 1864 gekauften Areal in Athen nach dem antiken Olympiastadion und entdeckte dort tatsächlich die Reste des Panathenäischen Stadions. Mit Unterstützung des Königs legte er es frei. Unter Leitung des griechischen Architekten Anastasios Metaxas wurde das Stadion mit demselben strahlend weißen pentelischen Marmor wieder aufgebaut, mit dem auch der Parthenon errichtet wurde. 1896 fanden dort die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt.
8. Heirat und Einbürgerung: 1876 heiratete er die aus einer makedonischen Familie stammende Klaviersolistin Sophia Doudou und wurde als Ernestos Tsiller griechischer Staatsbürger. Eine seiner Töchter beschrieb ihn später als „im persönlichen Umgang ein sehr liebenswürdiger und anziehender Mensch“.
9. Besuch von Karl May: Im Jahr 1900 machten der Schriftsteller Karl May („Winnetou“) und seine spätere Frau Klara auf deren zweiter Orientreise Station bei Ernst Ziller in Athen. Karl May war ein guter Freund von Zillers jüngerem Bruder.
10. Tod im Armenhaus: 1893 war der griechische Staat bankrott, die Bauaufträge gingen stark zurück. Ziller versuchte sich bei Geschäften in den antiken, 1864 wieder aufgenommenen Silberminen bei Lavrio, was aber misslang und ihn in Armut stürzte. Ziller starb 1923 einsam im Armenhaus und wurde wie Schliemann auf dem Ersten Athener Friedhof beerdigt.
Er erlebte es nicht mehr, dass ab 1923 die Stadt Athen in Folge der sog. “kleinasiatischen Katastrophe” innerhalb nur weniger Jahre 300.000 Flüchtlinge aus den griechischen Gebieten in der heutigen Türkei aufnehmen musste. Das waren mehr als das Doppelte der damaligen Bevölkerung.
So mussten dringend Wohnhäuser für die zuströmenden Flüchtlinge errichtet werden, die zum Teil auch auf der Akropolis in Zelten untergebracht waren. Das veränderte das Gesicht der Stadt Athen vollständig.
Viel Spaß bei der Entdeckung des “Athen von Ziller”
Siegbert Mattheis