Die Strandsiedlung Gruissan-Plage in der Nähe von Narbonne, ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich, nicht nur in Südfrankreich! Hier spielte der Kultfilm “Betty Blue”!
Als ich Gruissan-Plage das erste Mal im Film “Betty Blue, 37,2 Grad am Morgen” von Jean-Jacques Beineix entdeckt hatte, hätte ich den Ort in keinster Weise mit Südfrankreich in Verbindung gebracht. Er unterschied sich so sehr von allen anderen Orten an der südfranzösischen Küste, die ich bis dahin kannte und besucht hatte. Diese kleinen, hölzernen Chalets auf Stelzen direkt am Strand hatten eher amerikanisches Südstaaten-Flair.
Berühmt durch den Kultfilm “Betty Blue”
Auf jeden Fall hatte mich der Ort sofort fasziniert und in Bann gezogen. Sicherlich auch durch die berührende, leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen Betty (Béatrice Dalle) und Zorg (Jean-Hugues Anglade) im Film. Beide hatten sich beim Set tatsächlich ineinander verliebt, wie Beatrice Dalle in einem späteren Interview zugab.
Dieser Kultfilm hatte eine ganze Generation geprägt, nicht nur in Frankreich. Es ist ein tragisch-erotisches Roadmovie nach dem Roman von Philippe Djian und gilt als Portrait der damaligen Generation. Die Geschichte handelt von schillernden Loosern, die sich mit Sex und Alkohol betäuben und die Konsumgesellschaft ablehnen. Die Zeitschrift Cinema beschrieb den Film als “rauschhaftes inszeniertes Edeldrama.“
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Gruissan-Plage heute
Endlich hatten wir Gruissan-Plage besucht. Zunächst war ich ein wenig enttäuscht, weil ich zumindest nach einer Kopie oder einem ähnlich aussehenden, freistehenden Chalet wie im Film suchte, mit einer hölzernen Treppe und Sprossengeländer. Das Chalet von Zorg im Film brannte ja zum Schluss komplett ab. Auch die breiten Sandwege zwischen den Häuserreihen waren inzwischen teilweise geteert. Einige der Chalets haben tatsächlich viel von ihrem Charme und ihrer Besonderheit verloren, da ihre Besitzer den unteren Teil betoniert und die Pfähle verschwinden lassen haben. Auch ein Deich wurde angelegt. Er verläuft entlang des Strandes, bildet eine Uferpromenade und schützt die Häuser vor dem Hochwasser im Winter. Er schafft damit aber eine Trennung zwischen den Chalets und dem Strand und entfernt den Ort noch weiter von dem Geist, in dem er ursprünglich konzipiert wurde.
Einzigartiger Charme von Gruissan-Plage
Und dennoch ist der einzigartige Charme dieses Stelzendorfes erhalten geblieben. Viele Bewohner wohnen das ganze Jahr über hier und schildern es gerne als abgeschottete Blase, in der man zurückgezogen von der Welt leben kann. Viele Chalets sind auch als Ferienwohnungen ausgebaut und ihr könnt sie für ein romantisches Wochenende à la Betty Blue oder länger mieten.
Wie kam es zu diesem Dorf auf Stelzen?
Ende des 19. Jh. zogen einige Familien aus Narbonne und Umgebung vor der Weinlese mit einem mit Tüchern bespannten Karren (sog. Bourounes) an den Strand und ließen sich für ein paar Tage dort nieder. Doch überraschende Stürme und Fluten setzten diesen notdürftigen Konstruktionen zu und spülten sie regelmäßig weg.
So bauten einige Familien widerstandsfähigere Bauten auf Stelzen, die mehrere Jahre überdauerten und in denen sie während des Sommers wohnten. Angelehnt waren diese Chalets an die schlichten Fischerhäuser am Etang de l’Ayrolle.
Um 1870 errichtete daraufhin ein Gruissaner namens Gibert gleich 18 Kabinen und einen Pavillon: die “Chalets”. Komplett aus Holz und auf robusten Stelzen montiert, entstand so eine erste kleine Siedlung.
Der Erste Weltkrieg brachte einen Einbruch, aber danach begann sich die Wirtschaft zu erholen. Neue Chalets, ein Casino, ein Sommercamp, Cafés und Hotels wurden angelegt. 1928 beschloss die Gemeinde, eine Siedlung mit 57 Grundstücken zu errichten und schloss die ersten Verträge in Form von Mietverträgen ab. Der Komfort war rudimentär und die Versorgung mit Lebensmitteln und Süßwasser erfolgte jedes Wochenende mit der Rückkehr der Männer und ihrer Karren.
Inzwischen sprachen Sommergäste und Gruissaner schon nur von “la station” und bezeichneten sie mit dem heute bekannten Namen: Gruissan-Plage.
Warum stehen die Chalets in Gruissan-Plage schräg zum Meer?
Im Zweiten Weltkrieg wurde beinahe alles zerstört. Danach begann man mit dem Wiederaufbau der Chalets, aber diesmal in schrägen Reihen. Der Plan für den Ort wurde von R. Coquerel, einem Stadtplaner aus Paris, erstellt, der die Anordnungsprinzipien für eine bessere Ausrichtung der Wohnräume begründete und darlegte. “Der vorherrschende Nordwestwind macht 66 % aller Winde aus, und der Strand ist durch kein Gelände geschützt”. Man musste auch die Westausrichtung berücksichtigen, die sehr große Hitze verursacht. “Gebäude, bei denen eine Diagonale nach NW-SE ausgerichtet ist, würden diese Bedingungen am besten erfüllen”. Die Reihen der Chalets in der zweiten und dritten Reihe haben somit einen Blick auf das Meer und den Strand. Diese “Sägezähne” (ein Prinzip, das dem Architekten Le Corbusier sehr am Herzen lag) verlängerten die Länge der Strandpromenade und ermöglichen auch ihren Schutz. Damit hatten so viele Chalets wie möglich einen direkten Blick auf den Strand und das Meer. Insgesamt sind es heute 1.300 Chalets.
Erst Ende der 1970er Jahre wurden die Chalets an die kommunale Kanalisation angeschlossen. Die Arbeiten wurden 1981 abgeschlossen, der Boden wurde um 60 bis 80 Zentimeter angehoben.
Viele Künstler in Gruissan-Plage
Der Charme von Gruissan-Plage und dem eigentlichen Ort Gruissan zog viele Künstler an, u.a. Luis Mariano, Tino Rossi, Charles Trenet und eben Jean-Jacques Beineix, der hier den perfekten Ort für die tragische Romanze “37°2 le matin” (Betty Blue) fand.
Jean-Jacques Beineix
Der Regisseur starb am 13. Januar 2022 in Paris nach langer Krankheit im Alter von 75 Jahren. Er hatte mit seinem Film “Diva” 1981 bereits Filmgeschichte geschrieben. “Betty Blue” realisierte er 1985 in Gruissan-Plage und Marvejols im Département Lozère in der Region Okzitanien. Der Film war 1987 für neun Césars nominiert. Béatrice Dalle avancierte nach diesem Kinodebüt zur Erotik-Ikone.
Siegbert Mattheis