Waren alle antiken Tempel und Skulpturen weiß?

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Tempel und Marmorskulpturen aus der Antike kennen wir nur in blendendem Weiß. Der wohl berühmteste Tempel, der Parthenon auf der Akropolis, erstrahlt ganz in Weiß. Ebenso wie andere griechische und römische Bauten und Skulpturen.

Akropolis, davor nur Grün
Unverbauter Blick auf die Akropolis © Siegbert Mattheis

Warum sind alle antiken Tempel weiß?

Die antiken griechischen und römischen Tempel und Statuen haben im Laufe der Jahrhunderte ihre einstige Farbe fast vollständig verloren. Deshalb sind sie heute weiß oder durch Verwitterung leicht cremefarben.

Waren antike Statuen bemalt?

Ja, auch freistehende Marmorskulpturen waren farbig bemalt. Sie waren entweder mit anorganischen Erdfarben wie Ocker bemalt oder mit Farben, die aus Pflanzen hergestellt wurden. Gerade diese pflanzlichen Farben haben sich über die Zeit nicht erhalten.

2 Frauenfiguren, eine weiß, eine bemalt
Darstellung der Farbigkeit im Akropolismuseum © Siegbert Mattheis
Skulptur einer Frau in Faltengewand ohne Kopf und Beine
Originalskulptur vom Parthenon ganz nahe © Siegbert Mattheis

Zerstörung und Verfall der Bauwerke

In der Zeit zwischen dem Niedergang des Römischen Reiches, der Ausbreitung des Christentums und der Renaissance verloren die den Göttern geweihten Tempel und Statuen an Bedeutung. Einige Tempel wurden in christliche Kirchen umgewandelt, aber die meisten wurden dem Verfall preisgegeben oder zerstört. Sie wurden als Steinbrüche genutzt oder im schlimmsten Fall wurde der Marmor zu Kalk gebrannt.

Griechische Säulen in Kirche
Ein ehemaliger Tempel der Athene in Syrakus wurde im 7. Jh. n. Chr. in eine christliche Basilika umgewandelt, später in die Kathedrale © Siegbert Mattheis
Marmortorso einer nackten Frau
Zerstörte Aphrodite aus dem 1. Jh.n.Chr. im Archäologischen Museum in Heraklion © Siegbert Mattheis

War die Renaissance schuld?

Als in der Renaissance ab 1400 die Kunst der Antike wiederentdeckt wurde, begann man die antiken Relikte wieder zu würdigen. An diesen Bauten und Skulpturen war allerdings in den letzten über 1.000 Jahren jegliche Farbe verloren gegangen. Man ging also davon aus, dass sie schon immer weiß und farblos gewesen sein mussten.

Weiße Marmorstatue eines jungen Mannes
Michelangelos David von 1504 in Florenz in reinem, weißen Marmor (eine Kopie, das Original steht im Museum) © Siegbert Mattheis

Entdeckung von Farbresten an der Laokoon-Skulptur

Bei der wichtigsten Entdeckung der berühmten Laokoon-Gruppe im Jahr 1506 wurden noch Farbreste entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt stand Michelangelos David aus makellos weißem Marmor bereits seit zwei Jahren auf der Piazza Signoria in Florenz. Michelangelo ignorierte die Entdeckung der Farbspuren und wollte von Farbe auf Marmor nichts wissen. So sah es auch sein älterer Zeitgenosse Leonardo da Vinci, der die Malerei als höchste Kunstform gegenüber der Bildhauerei verteidigte. Er schloss rigoros aus, dass Marmor und andere Oberflächen bemalt und dennoch als hohe Kunst angesehen werden könnten.

Skulpturengruppe; Mann und seine zwei Söhne kämpfen mit einer Schlange
Die Laokoon-Gruppe, hier eine Nachbildung auf Rhodos im Großmeisterpalast. Das Original befindet sich im Vatikan © Siegbert Mattheis

Weiß als antikes Ideal auch im Klassizismus

Der Begründer des Klassizismus, Johann Joachim Winckelmann, schrieb in seinem 1755 erschienenen Werk über die Geschichte der Kunst des Altertums: „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten“. Damit meinte er neben der Architektur auch die vermeintlich weiße Reinheit der griechischen Tempel und Skulpturen.

Weiße Marmorstatue von stehendem Mann und Frau
Skulpturengruppe von 1791 in reinem Weiß im Pantheon von Paris © Siegbert Mattheis

Alle klassizistischen Bauten in Weiß

So wurden alle klassizistischen Bauten wie das Pantheon in Paris, das Brandenburger Tor in Berlin oder das Weiße Haus in Washington in reinem Weiß ohne weitere Bemalung gestaltet. Auch Ernst Ziller baute im 19. Jh. in Athen alle neoklassizistischen Gebäude in Weiß oder nur sehr sparsam mit ockerfarbenen Tönen abgesetzt.

Weiße Akademie, einem antiken Tempel nachempfunden
Die klassizistische Athener Akademie von Hansen und Ziller © YSkoulas

Woher weiß man, dass der Marmor in der Antike bemalt war?

Die ersten Hinweise neben der Laokoon-Gruppe lieferten die Ausgrabungen in Pompeij Ende des 18. Jhs. Dort waren Statuen und Gebäude durch die konservierende Erdschicht noch gut erhalten. Desweiteren fand man 1811 in Aegina Giebelfiguren des Aphaiatempels, die mit deutlichen Farbresten behaftet waren.

An der Tatsache der Farbigkeit antiker Kunst konnte also ab da schon lange kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen. Wohl aber an ihrem konkreten ursprünglichen Erscheinungsbild.

War auch der Parthenon auf der Akropolis bunt?

Dass das wohl berühmteste Bauwerk der Antike, der Parthenon auf der Akropolis, einst farbig gefasst war, wird heute nicht mehr bestritten. Zumindest die Friese und Giebel des Tempels waren bemalt. Man weiß auch, dass die Decken im Inneren dunkelblau waren. Denn an Teilen der Giebeldekoration, die Lord Elgin ab 1801 von der Akropolis entwendete und die sich heute im British Museum befinden, konnte das Pigment Ägyptisch Blau nachgewiesen werden. Wissenschaftler:innen vermuten, dass der Parthenon im oberen Teil in einem hellen Blau und Rot bemalt war, so dass die Skulpturen beim Anblick von unten deutlicher hervortraten.

Skulptur von Herakles im Kampf gegen Triton, das Meeresungeheuer mit Schuppen in Rot und Schwarz
Farbreste auf Skulpturen vom Giebelfriese des Parthenon im Akropolismuseum Athen © Siegbert Mattheis
Tempel mit farbigem Giebel und Fries
So könnte der Parthenon bemalt ausgesehen haben © AncientAthens3d.com

Hier könnt ihr euch ein Youtube-Video von Ancient Athens 3D dazu ansehen:

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Erste Zeichnungen des farbigen Parthenon-Tempels

1845 schickte der junge französische Architekt Alexis Paccard im Auftrag der neu gegründeten französischen Schule in Athen Zeichnungen an die Hochschule der Schönen Künste in Paris. In diesen stellte er den Parthenon auch farbig dar. Denn er und sein Kollege Benoit Loviot hatten an dem Bauwerk ebenfalls Spuren von Gelb, Blau und Rot auf den Steinen oder dem Gebälk entdeckt. Anhand dieser Farbreste entwickelten sie eine mutmaßliche Rekonstruktion der farbigen Gestaltung des Parthenon. Diese großformatigen Zeichnungen gerieten ab 1870 jedoch in Vergessenheit und wurden erst 1980 wiedergefunden.

Frau deutet auf große farbige Zeichnung des Frieses vom Parthenon
Die wiedergefundenen farbigen Zeichnungen von 1845 © arte
Farbiger Tempel mit blau rotem Fries und beigefarbenen Säulen
Mögliche Farbigkeit des Parthenon © arte

Hier könnt ihr euch die spannende Doku Geheimnisse der Akropolis dazu in der arte Mediathek ansehen (noch bis zum 27. Juli 2024)

Auch andere Architekten und Ärchälogen wie Ernst Ziller fertigten kolorierte Zeichnungen der mutmaßlichen Farbgebung des Tempelfrieses an.

Farbige Zeichnung des Frieses in hellblau und gelb
Farbige Annäherung von Ernst Ziller © Wikipedia
Farbige Darstellung des Parthenon-Frieses mit hellblauen Triglyphen und rotem Untergrund der Figuren
Versuch einer Rekonstruktion 1883 von einem heute unbekannten Autor © Wikipedia

Neueste Verfahren mit UV-Licht oder Spektralphotometer

Heute arbeitet die Wissenschaft u.a. mit ultraviolettem Licht oder Infrarot, um Farbe auf Statuen zu lesen, die keine offensichtlich sichtbaren Zeichen ihrer Dekoration behalten. Obwohl es nicht immer möglich ist, die genau verwendeten Farben zu identifizieren, sind die Muster, die auf die Oberfläche einer Statue gemalt wurden, oft leichter zu erkennen.

Wissenschaftlich abgesicherte Rekonstruktionen

Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es immer wieder Ausstellungen in vielen Städten der Welt, die diese neue, bunte Welt der Antike mit wissenschaftlich abgesicherten Rekonstruktionen zeigen.

Trotz dieser Ausstellungen und einiger Publikationen gelten weiße Marmorstatuen häufig immer noch als antike Originale. Unsere jahrhundertealten Sehgewohnheiten haben diesen Eindruck fest verankert.

Siegbert Mattheis

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