Jeanne Barret, die mutige Entdeckerin der Bougainvillea

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Bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2024 in Paris wurden zehn goldene Statuen bedeutender Frauen der französischen Geschichte präsentiert. Eine dieser vier Meter hohen Skulpturen stellte Jeanne Barret dar und ehrte sie als erste Frau, die die Welt umrundete.

Die erste Frau, die die Welt umsegelte

Wer war diese außergewöhnliche und mutige Frau, die im Dezember 1766 im Alter von erst 26 Jahren auf eine Weltreise ging und der wir die Entdeckung einer der schönsten Pflanzen der Welt verdanken?

Goldene Statue einer historischen Figur mit Dreispitzhut, die eine Schriftrolle und ein Architekturmodell hält.
Statue von Jeanne Barret in Paris © Siegbert Mattheis
Leuchtend rosa Bougainvillea-Blüten im Vordergrund mit einem Küstendorf und blauem Meer im Hintergrund.
Die faszinierende Bougainvillea-Pflanze © Siegbert Mattheis

Wer war Jeanne Barret?

Jeanne Barret (auch Baré oder Baret geschrieben) wurde 1740 in einer kleinen Gemeinde in Burgund geboren. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen, arbeitete aber früh als sogenannte „herboriste“, also als Kräutersammlerin und Pflanzenkennerin. Das war eine gefragte Fähigkeit zu einer Zeit, als die moderne Botanik gerade erst aufblühte.

Die Illustration einer Frau auf einem Boot auf dem Meer, umgeben von Blumen, ist in einem farbenfrohen Google Doodle zu sehen.
Selbst Google ließ 2020 zu ihrem 240. Geburtstag ein Doodle erstellen © Sophie Dias, Google

Wie kam sie zur Weltumseglung?

In den 1760er-Jahren lernte sie den 12 Jahre älteren Naturforscher Philibert Commerson kennen. Dieser war ein angesehener Botaniker, der nach dem frühen Tod seiner Frau dringend eine Assistentin suchte. Jeanne wurde nicht nur seine Haushälterin und enge wissenschaftliche Mitarbeiterin, sondern ziemlich sicher auch seine Geliebte.

Louis-Antoine de Bougainville erhielt 1765 von König Ludwig XV. den Auftrag, die erste französische Weltumsegelung vorzunehmen. Das Ziel dabei war dabei eigentlich rein militärisch und wirtschaftlich. Bougainville sollte die englischen Stützpunkte im Pazifik ausspionieren, neue Gebiete für Frankreich kolonisieren und Handelsbeziehungen aufbauen. Daneben sollte aber auch die Flora, Fauna und Kultur der besuchten Gebiete erforscht werden.

Commerson (oder Commerçon) wurde eingeladen, daran als Forschungsreisender teilzunehmen. Da war für das Paar klar, dass Jeanne auch dabei sein musste.

„Durch ihre Arbeit als Kräuterfrau besaß sie ein profundes Wissen über Pflanzen und ihre Eigenschaften. Die Aussicht, zusammen mit Commerson überall, wo das Schiff das Festland erreichte, zu botanisieren, muss für sie ungeheuer verlockend gewesen sein,“ schrieb ihre Biografin Glynis Ridley.

Doch es gab ein großes Problem …

Ein altes Segelschiff fährt unter stürmischem Himmel durch die raue See, während im Hintergrund Blitze zucken.
Bougainville fuhr mit der Boudeuse voran © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Frauen waren auf Schiffen verboten

Jeanne ließ sich davon nicht aufhalten. Um an der Expedition teilnehmen zu können, verkleidete sie sich als Mann. Sie nannte sich „Jean Baré”, band ihren Busen ab, trug kurze Haare und Männerkleidung und gab sich als Commersons Assistent aus. Unerkannt gelangte sie an Bord der „Étoile” einem der beiden Schiffe der Expedition. Am 1. Februar 1767 verließ das Schiff den Hafen von Rochefort. Der damals erst 37-jährige Bougainville selbst war bereits Im Dezember 1766 auf der „Boudeuse“ (Die Schmollende 😉 vorausgefahren.

Zunächst ging es Richtung Südamerika.

Auf nach Südamerika! © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Die Tarnung hielt

Die Tarnung hielt eine Weile. Einigen Männern auf den Schiffen waren allerdings schon früh Zweifel an der Identität des „botanischen Gehilfen“ gekommen. Denn Jeanne Barret weigerte sich entschieden, sich auszuziehen während der üblichen Äquatortaufe im März 1767. Auf ihre hohe Stimme und den zarten Körperbau angesprochen, erklärte sie, dass sie einmal von den Türken gefangen genommen und kastriert worden sei.

Eigene Umkleidemöglichkeit

Ein Glück war, dass der Kapitän der Étoile, François Chenard de la Giraudais den beiden seine Kabine angeboten hatte. Denn die Utensilien und vielen Pflanzen, die sich in der Zwischenzeit angesammelt hatten, brauchten Platz. So hatte Jeanne ihr eigenes Bad und Umkleidemöglichkeit.

Verletzung von Commerson

Commerson verletzte sich eines Tages am Bein und bekam ein Geschwür, sodass Jeanne schließlich vieles allein erledigte. Darunter das mühselige Sammeln, Beschriften und Konservieren von Pflanzenproben an oft unwegsamen Küsten, meist mitten im Dschungel. Commerson bezeichnete sie vor anderen manchmal scherzhaft als sein „Lasttier“.

Rio de Janeiro war damals bereits eine wichtige Hafenstadt und Zentrum des Zuckerhandels © Johan Jacob Steinmann, Wikimedia © Animation: Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Ankunft in Brasilien

Im Juni 1767 legten sie in Rio de Janeiro in Brasilien an, das damals noch eine portugiesische Kolonie war. Aufgrund eines Mordfalls in der Mannschaft und umständlicher Formalitäten war die Expedition zu einem längeren Aufenthalt gezwungen. Obwohl Bougainville die strenge Order gab, die Stadtgrenzen nicht zu überschreiten, hielten sich Commerson und Barret nicht daran.

Wie der Name Brasilien entstand …

Barret durchforscht alleine den Urwald

Commerson war zwar in der Lage, den Weg vom Schiff zur Küste täglich zurückzulegen, aber er konnte keine weiten Strecken zurücklegen oder gar Schluchten hinunter oder auf Felsen klettern. Stattdessen setzte er sich an den besten Aussichtspunkt, den er finden konnte und genoss die frische Luft. Anschließend begann Barret mit ihrer Arbeit, den Urwald nach interessanten Exemplaren zu durchforsten. So beschreibt es Glynis Ridley in ihrem lesenswerten Buch „The Discovery of Jeanne Barret“.

Ein Mann in der Kleidung des 18. Jahrhunderts sitzt auf einem Felsen und schreibt in ein Notizbuch inmitten von üppigem Grün.
So könnte Philibert Commerson sich auf einem Felsen ausgeruht haben © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung
Ein Mann in der Kleidung des 18. Jahrhunderts steht auf einem Schiffsdeck und blickt nach oben, während die Besatzungsmitglieder ihn umgeben.
So könnte Louis-Antoine de Bougainville ausgesehen haben © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Die Entdeckung der Bougainvillea

Auf einem dieser Streifzüge entdeckte Jeanne Barret eine leuchtend rot- und pinkfarbene, bisher unbekannte Pflanze. Nun anzunehmen, dass sie als Frau nur auf die Schönheit geachtet hätte, würde der Botanikerin nicht gerecht. Denn sie suchte vornehmlich nach potenziellen Nutz- und Heilpflanzen. Und eine rote Pflanze galt damals schon als Indiz für eine blutstillende Wirkung. Barret hoffte wohl auch auf einen heilenden Effekt für Commersons Bein.

Eine Frau blickt nach oben in einen üppigen, sonnenbeschienenen Dschungel, der von grünen Blättern und rosa Bougainvillea umgeben ist.
So könnte Jeanne Baret die Bougainvillea entdeckt haben © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Bougainvillea brasiliensis

Nach ihrer Rückkehr beschloss Commerson, die Pflanze dem Kapitän zu widmen und sie nach ihm Bougainvillea brasiliensis zu benennen.

Leuchtend rosa Bougainvillea-Blüten in voller Blüte vor einem klaren blauen Himmel.
Riesiger Bougainvilleastrauch im Süden © Siegbert Mattheis

Gibt es Beweise?

Es gibt keine schriftlichen Belege oder eindeutige Beweise dafür, dass Jeanne Barret die Bougainvillea entdeckt hatte, aber sehr viele klare Hinweise:

1. Commersons schwere Beinverletzung

  • Commerson litt zu dem Zeitpunkt unter stark entzündeten, fast gangränösen Beingeschwüren.
  • Laut dem Schiffsarzt Vivès stand sogar eine Amputation im Raum.
  • Er war kaum gehfähig, konnte nicht über unwegsames Gelände klettern, sondern saß meist an einem geschützten Punkt an Land, während Barret sammelte.

So könnte es ausgesehen haben, als Philibert Commerson auf Jeanne Barret gewartet hatte © Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

2. Barret führte die Feldarbeit aus

  • Barret trug die komplette Ausrüstung: Pressen, Glasgefäße, Messer, Papier, Proviant, eine Pistole zur Selbstverteidigung – und schleppte alles selbst.
  • Sie durchstreifte alleine die Wildnis um Rio, sammelte Pflanzen, presste sie vor Ort und brachte sie zurück.
  • Sie war faktisch die aktive Botanikerin im Feld, während Commerson eher eine beratende Rolle einnahm.

3. Motivation durch medizinische Anwendung

  • Barret war ausgebildete herboriste.
  • Die rote Farbe der Bougainvillea passte zur traditionellen Signaturenlehre: Rot = blutreinigend / wundheilend.
  • Barret hoffte, damit ein pflanzliches Heilpflaster gegen die Beinwunde von Commerson herstellen zu können.
  • Sie suchte also nicht nach „schönen Pflanzen“, sondern nach medizinisch nutzbaren – was die Bougainvillea für sie besonders machte.

4. Dokumentation & Codierung

  • Commerson erwähnte die Pflanze nur beiläufig in seinem Tagebuch als „novissima planta“
  • Er war sich wohl bewusst, dass nicht er, sondern Barret die Entdeckung gemacht hatte, benannte die Pflanze aber strategisch nach Bougainville, um seine Dankbarkeit zu zeigen.

5. Zeitliche und logistische Umstände

  • Bougainville selbst war mit diplomatischen Aufgaben in Rio gebunden und kam nicht in Frage als Entdecker.
  • Commerson war nicht in der Lage, solche Ausflüge zu unternehmen.
  • Es gab niemanden außer Barret, der die Pflanze im Umland von Rio hätte entdecken können – sie war die einzige Person, die dafür in Frage kam.

6. Nachträgliche Auslöschung ihrer Leistung

  • In historischen Quellen wurde oft Commerson oder Bougainville als Entdecker genannt.
  • Der Beitrag von Jeanne Barret wurde bewusst verschwiegen oder unterschlagen, weil sie eine Frau in Männerkleidung war – ein Skandal aus damaliger Sicht.

Mathilda-Effekt

Das wiederum ist ein typischer Mathilda-Effekt: die systematische Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Wissenschaftlerinnen in der Forschung, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird. Benannt ist er nach der US-amerikanischen Frauenrechtlerin Matilda J. Gage, die am Ende des 19. Jahrhunderts dieses Phänomen als erste allgemein beschrieben hat. 1993 wurde dieser Begriff von der Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter erneut aufgegriffen.

Aufdeckung und ihre Rückkehr

Irgendwann auf der Reise, vermutlich auf Tahiti, wurde Jeannes Tarnung entdeckt. Die Tahitianer:innen erkannten sie sofort als Frau.

Enttarnung auf Tahiti, © Wikimedia © Animation: Siegbert Mattheis mit KI-Unterstützung

Bougainville schrieb später in seinem Reisebericht „Reise um die Welt“:

Seit einiger Zeit mutmaßt man auf beiden Schiffen, dass der Bediente von Herrn De Commerçon namens Barret eine Weibsperson sei, sein Körper und der Klang der Stimme, sein glattes Kinn, seine Sorgfalt, niemals in Gegenwart anderer seine Notdurft zu verrichten, bestärkten diesen Verdacht. Wie konnte man aber glauben, dass Barret von weiblichem Geschlechte wäre, da man ihn als einen unermüdlichen und erfahrenen Botaniker seines Herrn bei allem Kräutersammeln selbst auf den mit Schnee und Eis bedeckten Bergen der Magellanschen Meerenge begleiten und auf diesen beschwerlichen Märschen die Mundprovision, das Gewehr und die Hefte mit Pflanzen hatte tragen sehen. Sein Herr nannte ihn wegen seines Mutes und seiner Kraft nur sein ›Lasttier‹.

[…]

Als ich an Bord der „Étoile“ war, gestand mir Barret unter Tränen, dass er ein Mädchen sei. Sie hätte sich in Mannskleidung als Bediente angeboten. Sie wäre aus der Bourgeoisie gebürtig und als eine Waise durch den Verlust eines Prozesses in elende Umstände geraten, welche sie zu dem Entschluss gebracht habe, ihr Geschlecht durch die Kleidung zu verbergen. Als sie gehört hat, dass das Schiff um die Welt segeln sollte, habe sie die Neugier getrieben mitzugehen.“

Jeanne übernahm die Verantwortung

Jeanne Barret übernahm die volle Verantwortung für ihr Handeln, was Commerson wohl nicht unrecht war. Sie beteuerte auch, dass beide sich vor Reisebeginn nicht kannten. Dies ersparte sowohl Commerson als auch Bougainville weitere Unannehmlichkeiten, da er den Verstoß gegen eine königliche Weisung hätte ahnden müssen und womöglich auch das Ansehen der Expedition in Gefahr hätte bringen können.

Mauritius

Nach etlichen Stürmen, Krankheiten und Entbehrungen gingen Barret und Commerson auf Mauritius von Bord. Sie blieben zur näheren Erforschung der Insel fast fünf Jahre dort und sammelten mehr als 6000 Pflanzenarten. Commerson verstarb 1773 auf der Insel. Ein Jahr später heiratete Jeanne auf Mauritius einen Marineoffizier.

Erste Weltumseglerin

Zurück in Frankreich wurde sie immerhin mit einer staatlichen Rente für ihre Leistungen während der Reise belohnt und erhielt den Ehrentitel „femme extraordinaire“. Das war eine seltene Anerkennung für eine Frau ihrer Zeit. Mit ihrem Mann ließ sie sich in Saint-Aulaye nieder und lebte dort bis zu ihrem Tod 1807.

Sie war damit die erste Frau der Weltgeschichte, die nachweislich die Erde umsegelt hatte!

Nahaufnahme von zwei kleinen, gelben Blüten mit zarten Blütenblättern vor einem rosa-violetten, unscharfen Hintergrund.
Zwei gelbe Blüten und eine Knospe vor pinkfarbenen Hochblättern der Drillingsblume Bougainvillea © Siegbert Mattheis
Bougainvillea-Strauch mit leuchtend magentafarbenen Blüten mit kleinen weißen Zentren und grünen Blättern.
Bougainvillea brasiliensis © Siegbert Mattheis

Eine Frau mit botanischem Gespür und großem Mut

Die Geschichte von Jeanne Barret ist mehr als nur eine Fußnote der Wissenschaftsgeschichte. Sie ist ein Beispiel für Mut, Leidenschaft und die Kraft des Wissens – selbst gegen alle gesellschaftlichen Widerstände.

Warum sie uns heute noch inspiriert

Jeanne Baret steht heute symbolisch für alle Frauen, die trotz gesellschaftlicher Einschränkungen ihren eigenen Weg gingen. Ihre Geschichte zeigt: Mit Entschlossenheit, Neugier – und ja, auch ein bisschen Mut zur List – kann man selbst größte Hindernisse überwinden.

Vielleicht denkt ihr einen Moment an Jeanne bei eurer nächsten Reise durch den Süden, wenn ihr eine knallpinke Bougainvillea an einer Mauer entlang ranken seht; an ihren Mut und ihren Entdeckergeist.

Siegbert Mattheis

Älterer Mann mit weißem Haar und Bart, trägt ein dunkles Hemd und blickt mit einem leichten Lächeln in die Kamera.

Siegbert Mattheis, Jahrgang 1959, ist seit seinem ersten Italienaufenthalt 1977 vom mediterranen Lebensgefühl begeistert. Seitdem bereist er mehrmals im Jahr die Länder rund um das Mittelmeer. Nach seinen Studien Kommunikationsdesign, Philosophie, Wissenschaftstheorie und Kunstgeschichte gründete er eine Werbeagentur, die er seit 1998 gemeinsam mit seiner Frau Claudia Mattheis führt. 2002 bauten beide gemeinsam AmbienteMediterran.de auf, das inzwischen größte Lifestyle-Magazin rund um die mediterrane Kultur. Darüber hinaus ist er Fachjournalist und Fotograf, begeisterter Hobbykoch und Liebhaber stilvoller Einrichtung. Gründliche Recherche und Liebe zum Detail gehören zu seinen Leidenschaften. Mit seiner Frau lebt er in Berlin Prenzlauer Berg.

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