Vor über 2.500 Jahren war die gesellschaftliche Anerkennung und Stellung der Frau in vielen Punkten fortschrittlicher als heute. Etruskische Frauen (zumindest in der Oberschicht) durften eigene Namen führen, ihre Familiennamen nach der Heirat behalten und in einigen Fällen Eigentum erben und darüber verfügen.
In Deutschland wurde das erst 1962 gesetzlich möglich. Erst ab diesem Zeitpunkt durften Frauen ein eigenes Konto führen. In der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht erst 1971 eingeführt.
Was macht die Stellung der etruskischen Frau so besonders?
Die etruskische Zivilisation, die vom 8. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. in Mittelitalien blühte, räumte Frauen eine im Mittelmeerraum ungewöhnlich sichtbare und selbstständige gesellschaftliche Stellung ein. Während griechische und römische Frauen weitgehend auf häusliche Aufgaben beschränkt waren, genossen etruskische Frauen ein überraschend hohes Maß an Autonomie und öffentlicher Präsenz. Ihr Status unterschied sich fundamental von dem ihrer Geschlechtsgenossinnen in anderen antiken Kulturen des Mittelmeerraums.
Welche Privilegien hatten etruskische Frauen?
Archäologische Ausgrabungen und Inschriften zeigen, dass etruskische Frauen der Elite eigene Namen führten, in einigen Fällen Eigentum erben und ihre Familiennamen nach der Heirat behielten. Diese Praktiken waren den meisten griechischen und römischen Frauen nicht zugänglich.
Eigene Vor- und Nachnamen
Besonders bemerkenswert ist die etruskische Namenspraxis: Frauen wurden mit ihren eigenen Vornamen und Familiennamen in Inschriften bezeichnet, was ihre Individualität innerhalb der Familiengruppe bestätigte. Im Gegensatz dazu wurden römische Frauen nur durch die weibliche Form des Familiennamens identifiziert. Alle Frauen der Familie Livia hießen beispielsweise einfach “Livia”.
Frauen waren gebildet
Inschriften und Grabkontexte deuten darauf hin, dass zumindest Frauen der Elite lesen konnten und über religiöses Spezialwissen verfügten. In Etrurien konnte eine Frau Familieneigentum erben, wenn keine männliche Linie überlebte. Im antiken Griechenland war dies unmöglich.
Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass sich diese Rechte vor allem auf die Oberschicht bezogen und wir über die Lebenssituation etruskischer Frauen aus niedrigeren sozialen Schichten deutlich weniger wissen.
Wie unterschied sich das gesellschaftliche Leben etruskischer Frauen von dem griechischer Frauen?
Der auffälligste Unterschied zeigt sich in der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Etruskische Frauen nahmen an Banketten teil, besuchten Spiele und waren bei öffentlichen Zeremonien präsent – Praktiken, die in Griechenland und Rom für respektable Frauen undenkbar gewesen wären.
Frauen waren gleichberechtigt bei Banketten dabei
Die Fresken der Gräber von Tarquinia aus dem 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. bestätigen die Anwesenheit von Frauen in sozialen Räumen wie Banketten und Sportveranstaltungen, die bei Römern und Griechen ausschließlich Männern vorbehalten waren.
Frauen tranken Wein
Diese Praxis schockierte griechische Beobachter zutiefst. Der griechische Historiker Theopompos von Chios im 4. Jahrhundert v. Chr. beschrieb skandalisiert, dass etruskische Frauen mit Männern speisten und tranken.
Dass Frauen Wein tranken, bezeugen auch Inschriften auf Gefäßen in etruskischen Gräbern, die Frauen als Besitzerinnen nennen, beschreibt Dirk Steuernagel in seinem 2020 erschienenen Buch „Die Etrusker – Ursprünge – Geschichte – Zivilisation“. *
Bei den Griechen waren zu geselligen Trinkgelagen nur Männer zugelassen, Frauen dienten dort lediglich zur Unterhaltung oder zur sexuellen Befriedigung.
Was sagen Grabfunde über die Gleichstellung der Geschlechter aus?
Hochgestellte Frauen wurden oft mit ähnlichen Gegenständen wie ihre männlichen Pendants beigesetzt, darunter Bankettausrüstung und zeremonielle Gegenstände, zusammen mit aufwendigem und schönem Schmuck.
Es gibt sogar große, prächtige Gräber, die speziell für eine weibliche Bewohnerin errichtet wurden, wobei das Regolini-Galassi-Grab in Cerveteri aus der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. das beste Beispiel darstellt.
Die berühmten Sarkophage zeigen Ehepaare gemeinsam: Sarkophage mit Deckeln, die skulptierte Figuren verstorbener Paare tragen, zeigen beide Partner in gleichwertiger Darstellung. Die genaue Interpretation einzelner Handlungen und Gesten bleibt in der Forschung teilweise umstritten, doch die gemeinsame Darstellung selbst ist bemerkenswert für die antike Welt.
Welche neuen Erkenntnisse bringen aktuelle Forschungen?
Die archäologische Forschung zu etruskischen Frauen ist ein aktives Feld, wobei neue bioarchäologische Methoden zunehmend Einblicke in die körperliche Aktivität und Lebensweise von Frauen ermöglichen.
Frauen waren körperlich aktiv
Studien zu Skelettfunden zeigen, dass etruskische Frauen physisch aktive Rollen in der Gesellschaft spielten. Diese Ergebnisse sind besonders interessant, weil sie zeigen, dass etruskische Frauen nicht nur soziale Privilegien genossen, sondern auch an körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten teilnahmen.
Zu ähnlichen Schlüssen kam man auch bei der Forschung zum minoischen Kreta (etwa von 2.000 bis 1.000 v. Chr.), wo Frauen selbstverständlich bei sog. Stiersprüngen teilnahmen.
Die Forschung entwickelt sich ständig weiter, und neue Ausgrabungen sowie moderne Analysemethoden liefern kontinuierlich zusätzliche Erkenntnisse über die Lebenswelt etruskischer Frauen.
Wie wurden etruskische Frauen in religiösen Kontexten dargestellt?
Die Etrusker waren in der Antike für ihre außerordentliche Hingabe an die Religion bekannt. Sowohl Männer als auch Frauen praktizierten verschiedene Formen der Wahrsagung, um den Willen der Götter zu bestimmen.
Die etruskische Gesellschaft ehrte spirituell mächtige weibliche Gottheiten wie Uni, Minevra und Turan. Eine bedeutende archäologische Entdeckung in Poggio Colla enthüllte 2016 eine seltene Inschrift auf einem antiken Tempelstein mit dem Namen der Göttin Uni, was darauf hindeutet, dass diese Fruchtbarkeitsgöttin die Schutzgottheit des Heiligtums gewesen sein könnte.
Etruskische Priesterinnen spielten wichtige öffentliche Rollen und könnten in bestimmten Kontexten auch politischen Einfluss ausgeübt haben. Sie waren an religiösen Zeremonien beteiligt, die für das Gemeinwesen zentral waren.
In der letzten Phase der etruskischen Geschichte verloren Frauen inmitten der Eroberung durch die Römische Republik einen Großteil ihrer Unabhängigkeit, und ihr Status wurde dem römischer Frauen angeglichen.
Die Forscherin Sybille Haynes studierte kleine Bronzeskulpturen und stellte eine bemerkenswerte Veränderung fest: Die ältesten Darstellungen zeigen Frauen und Männer gemeinsam auf einem Triclinium liegend und den Trinkbecher erhebend. In den jüngsten Beispielen sitzen die Frauen jedoch neben dem liegenden Ehemann. Zwischen diesen beiden Serien veränderten die Römer durch die Romanisierung den Status der Frauen in der etruskischen Gesellschaft.
Welche berühmten etruskischen Frauen kennen wir?
Tanaquil gehörte zu den Frauen, die in der Überlieferung als einflussreich dargestellt werden. Sie war besonders bekannt als Seherin und Beraterin ihres Mannes, eines etruskischen Königs. Velia Spurinna ist als Elitefrau in Inschriften belegt.
Inschriften bewahren zahlreiche weitere weibliche Namen: Ati, Culni, Fasti, Larthia, Ramtha, Velelia, Anthaia, Thania, Tita und viele andere. Jeder Name bezeugt die individuelle Identität dieser Frauen und ihre Sichtbarkeit in der etruskischen Gesellschaft.
Wie zuverlässig sind unsere Quellen über etruskische Frauen?
Hier müssen wir vorsichtig sein: Die meisten schriftlichen Berichte über Etrusker stammen von griechischen und römischen Autoren, die ihre Nachbarn oft mit Vorurteilen betrachteten. Die griechischen und römischen Schriftsteller nutzten die Etrusker hauptsächlich als Vergleichsfolie für ihre eigene Gesellschaft und kompilierten keine objektive Geschichte.
Deshalb sind archäologische Funde, wie Gräber, Inschriften, Fresken, Sarkophage und Grabbeigaben, unsere verlässlichsten Informationsquellen. Sie sprechen direkt zu uns über die Jahrhunderte hinweg und zeigen, wie etruskische Frauen tatsächlich lebten.
Was können wir von den etruskischen Frauen lernen?
Die etruskische Gesellschaft beweist, dass fortschrittliche Zivilisationen der Antike Frauen nicht zwangsläufig im häuslichen Bereich isolieren mussten. Etruskische Frauen der Oberschicht genossen öffentliche Sichtbarkeit, nahmen an gesellschaftlichen Veranstaltungen teil und wurden als Individuen mit eigenen Namen anerkannt. Sie mussten sich nicht wie Männer verhalten, um eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Diese historische Perspektive zeigt uns, dass die Stellung von Frauen in antiken Gesellschaften sehr unterschiedlich sein konnte – manchmal vor über 2.500 Jahren in bemerkenswerterer Weise als in späteren Kulturen, die sich selbst als zivilisierter betrachteten.
Nicht unbedingt ebenso gleichberechtigt wie heute
Es handelt sich dabei zwar lediglich um eine relative Gleichstellung im antiken Vergleich, nicht um Gleichberechtigung im heutigen Sinn. Dennoch zeigt die etruskische Kultur, dass verschiedene gesellschaftliche Modelle möglich waren.
Die Geschichte der etruskischen Frauen erinnert uns daran, dass gesellschaftlicher Fortschritt nicht linear verläuft und dass wir aus vergangenen Kulturen lernen können, wie unterschiedlich soziale Ordnungen gestaltet sein können.
Siegbert Mattheis
Siegbert Mattheis, Jahrgang 1959, ist seit seinem ersten Italienaufenthalt 1977 vom mediterranen Lebensgefühl begeistert. Seitdem bereist er mehrmals im Jahr die Länder rund um das Mittelmeer. Nach seinen Studien Kommunikationsdesign, Philosophie, Wissenschaftstheorie und Kunstgeschichte gründete er eine Werbeagentur, die er seit 1998 gemeinsam mit seiner Frau Claudia Mattheis führt. 2002 bauten beide gemeinsam Ambiente–Mediterran.de auf, das inzwischen größte Lifestyle-Magazin rund um die mediterrane Kultur. Darüber hinaus ist er Fachjournalist und Fotograf, begeisterter Hobbykoch und Liebhaber stilvoller Einrichtung. Gründliche Recherche und Liebe zum Detail gehören zu seinen Leidenschaften. Mit seiner Frau lebt er in Berlin Prenzlauer Berg.
Zeittafel zur Geschichte der Etrusker
| 11.-10. Jh. v. Chr. | Entstehung der etruskischen Kultur in der Spätphase der Bronzezeit. |
| Spätes 10.-8. Jh. v. Chr. | Eisenzeitliche Villanova-Phase der etruskischen Kultur. |
| 753 v. Chr. | Legendäres Gründungsdatum der Stadt Rom. |
| Mitte 8. Jh. v. Chr. | Die Etrusker übernehmen von den griechischen Siedlern das Alphabet in der auf Euböa geläufigen Form. |
| 2. Hälfte 8. Jh. v. Chr. | Herausbildung einer lokalen Oberschicht. Intensive Handelskontakte mit Griechenland und dem Nahen Osten. Import von Bernstein aus dem Baltikum. |
| Um 650 v. Chr. | Etruskische Seeherrschaft im Tyrrhenischen Meer. |
| 615 v. Chr. | Tarquinius Priscus wird König in Rom. Starker etruskischer Einfluss. |
| Ende 7. Jh. v. Chr. | Herausbildung einer städtischen Mittelschicht. |
| 509 v. Chr. | Ende der Königsherrschaft in Rom. |
| 474 v. Chr. | Niederlage der Etrusker gegen die Flotte des sizilischen Syrakus in der Seeschlacht von Kyme (Cumae).
Beginnender Niedergang der etruskischen Seeherrschaft. |
| 396 v. Chr. | Rom erobert die etruskische Stadt Veji am Tiber. |
| 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr. | Wirtschaftliche Konsolidierung der südetruskischen Städte. |
| 353 und 351 v. Chr. | Die Stadtstaaten Caere (Cerveteri) und Tarquinia im südlichen Etrurien werden von Rom besiegt. |
| 294 v. Chr. | Sieg der Römer bei Sentinum über die Etrusker, Gallier und die italischen Samniten und Umbrer. |
| 265 v. Chr. | Zerstörung von Volsinii durch die Römer und Neugründung am Bolsena-See. |
| 241 v. Chr. | Die Römer zerstören Falerii (Civita Castellana). |
| 90-88 v. Chr. | Bundesgenossenkrieg nach Rebellion der Etrusker gegen Rom. An seinem Ende erhalten alle Etrusker und Italiker das römische Bürgerrecht. Latein wird die offizielle Sprache in Italien. |
| 31 v. Chr.-14 n. Chr. | Regierungszeit des Kaisers Augustus. |
| 27 v. Chr. | Unter Kaiser Augustus wird Etrurien die VII. Region des römischen Italien. |
| 14-37 n. Chr. | Regierungszeit des Kaisers Tiberius. |
| 37-41 n. Chr. | Regierungszeit des Kaisers Caligula. |
| 41-54 n. Chr. | Regierungszeit des Kaisers Claudius. Claudius verfasst eine Geschichte Etruriens. |









