Rum und die Karibik sind durch die Kolonialgeschichte untrennbar miteinander verbunden. Die Spirituose wird auf nahezu allen karibischen Inseln produziert. Aber der Rum aus Martinique stellt etwas ganz Besonderes dar …
Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Rhum de la Martinique, zu den Besonderheiten, zur Herstellung, zur Geschichte und zum einzigartigen Geschmack. Und natürlich dazu, wie man den berühmten Ti Punch, den legendären Aperitif der Insel richtig trinkt und genießt 😉
Erläuterungen von Expert:innen
Wir haben einige Destillerien auf der Antilleninsel besucht und uns u. a. von Michel Fayad, dem “Meister des Rums” und Direktor des Rum-Museums von Saint-James in die Rum-Herstellung einführen lassen.
Zusätzliche Erläuterungen erhielten wir auch von Sophie Pichavant von der Habitation Saint-Etienne, HSE. Und ihre Chefin, die Inhaberin Florette Hayot, erzählte uns noch einiges über die geschichtlichen Hintergründe und das einzigartige Know-how aus Martinique.
Wir konnten verschiedene Rumsorten verkosten und durften auch bei einem außergewöhnlichen Food-Pairing mit Rum mit Vertretern von CODERUM dabei sein.
Was macht den Rum von Martinique so einzigartig?
Rum aus Martinique ist ein sogenannter Rhum Agricole (landwirtschaftlicher Rum), dessen Anteil nur etwa 3 % der weltweiten Rumproduktion ausmacht. Er wird ausschließlich aus frischem Zuckerrohrsaft, nicht wie der traditionelle Rhum industriel aus Melasse hergestellt. Das verleiht ihm einen komplexen, pflanzlichen und fruchtigen Charakter, der sich deutlich von anderen Rumsorten unterscheidet.
Hinzu kommt, dass er der weltweit einzige Rum mit AOC-Siegel (Appellation d’Origine Contrôlée) ist. Die Spirituose profitiert darüber hinaus vom einzigartigen Know-how und dem Terroir Martiniques mit vulkanischem Boden und einem wahrlich idealen Klima.
Wie schmeckt Rhum Agricole?
Wir empfanden ihn als sehr weich! Der weiße Rum schmeckt leicht frisch, grasig und blumig, mit Noten von Zuckerrohr, Zitrus, Heu und tropischen Früchten.
Der braune hingegen passt mit seinen Vanille-, Leder-, Holz- und Gewürznoten gut zu einer Zigarre.
Aber auch pur schmeckt er so gesehen schon etwas rauchig 😉 .
Wie wird Rhum Agricole hergestellt?
1. Ernte des Zuckerrohrs
Auf Martinique werden hauptsächlich Sorten wie Canne Bleue, Canne Rouge und Canne Zikak verwendet. Die Ernte erfolgt zwischen Februar und Juni, denn dann ist der Zuckergehalt am höchsten. Das Zuckerrohr wird so frisch wie möglich innerhalb von 24 Stunden nach dem Schneiden zur Brennerei gebracht, so wird Oxidation und Geschmacksverlust vermieden.
2. Pressen und Saftgewinnung
Mechanische Zuckerrohrschneider zerkleinern die langen Stängel in Stücke, die über ein Förderband direkt zu den Mühlen transportiert werden. Eine Dampfmaschine treibt die Mühlenwalzen an, die das Zuckerrohr zermahlen und so den zuckerhaltigen Saft – den Vesou – vom faserigen Rückstand – der Bagasse – trennen. Der Saft, der etwa 15–18 % Zucker enthält, wird gefiltert und von groben Pflanzenresten befreit.
Da keine Raffination oder Klärung erfolgt, bleiben die natürlichen Aromen des Zuckerrohrs vollständig erhalten.
3. Gärung (Fermentation)
Der frische Zuckerrohrsaft, der vesou wird in großen Tanks gesammelt, wo er dank Backhefe fermentiert. Die kontrollierte Fermentation dauert nach AOC-Regeln maximal 72 Stunden bei Temperaturen zwischen 25 und 30 °C, um die Bildung feiner Fruchtaromen zu fördern. Das Ergebnis ist ein „Wein” mit einem Alkoholgehalt von 4 bis 5 % vol. Alkohol.
4. Destillation
Anschließend wird dieser Wein bzw. die Fermentationsflüssigkeit in sogenannten Kolonnenapparaten (colonne créole) destilliert. Diese Destillationssäule oder -zylinder ist das Herzstück der Rumherstellung, eine Spezialität der französischen Karibik.
Wer mehr über die einzigartige Destillationsmethode wissen möchte, kann das weiter unten genauer nachlesen 😉 .
5. Reifung
Nach der Destillation wird der Rum zunächst ruhend gelagert und gereift. Je nach gewünschtem Endprodukt entweder in Edelstahltanks oder Betonzisternen (für weißen Rum) oder in Holzfässern, meist aus Eiche (für braunen Rum).
6. Abfüllung
Bevor der Rum nun endgültig in Flaschen abgefüllt wird, wird er zunächst noch gefiltert, um Trübstoffe zu entfernen. Anschließend wird er mit entmineralisiertem Wasser auf Trinkstärke gebracht:
- Rhum Blanc: zwischen 50 und 55 % vol.
- Rhum Vieux: zwischen 40 und 45 % vol.
7. Qualitätskontrolle und AOC-Schutz
Der gesamte Produktionsprozess unterliegt der Appellation d’Origine Contrôlée (AOC Martinique), die 1996 eingeführt wurde. Sie schreibt exakt vor:
- Herkunft des Zuckerrohrs (nur Martinique)
- Anbaugebiete (z. B. Nordküste, Centre, Sud)
- Zuckerrohrsorte
- Erntemethoden und Fermentationsdauer
- Art der Destillation und Alkoholgehalt
- Lagerung und Kennzeichnung
Was ist der Unterschied zwischen weißem und braunem Rum?
Weißer, klarer Rum bildet nach der Destillation das Ausgangsprodukt für alle Rumsorten. Brauner Rum ist das Ergebnis der Lagerung in Holzfässern, die mit ihren Inhaltsstoffen den weißen Rum langsam bernsteinfarben über goldbraun bis zu einem mahagonifarbenen Ton färben.
Was bedeuten die verschiedenen Bezeichnungen beim Rum?
Es wird zunächst zwischen weißem und braunem Rum unterschieden:
- Rhum Blanc, Weißer Rum: Er wird mindestens 3 Monate in Edelstahltanks oder Betonzisternen gelagert, um sich zu harmonisieren.
Beim braunen Rum gibt es weitere unterschiedliche Bezeichnungen:
- Rhum Élevé Sous Bois, im Holz gereifter Rum: Er lagert mindestens 12 Monate in Eichenfässern und nimmt eine leichte goldene Farbe an.
- Rhum Vieux, alter Rum, VO (Very Old): Er muss mindestens 3 Jahre in Eichenfässern von maximal 650 Litern Fassungsvermögen reifen.
- Rhum Très Vieux, sehr alter Rum VSOP (Very Superior Old Pale): Er muss mehr als 4 Jahre reifen.
- Rhum Extra Vieux, extrem alter Rum, XO (Extra Old): Für diese Bezeichnung muss er mehr als 6 Jahre in den Fässern lagern und reifen.
Je länger der Rum in den Fässern reift, desto dunkler wird die Farbe. Gleichzeitig reichert das Holz den Rum zusätzlich mit Aromen von Leder, Holz, Tabak, Vanille, Kakao, Kokos sowie getrockneten Früchten, Gewürzen wie Pfeffer und Muskatnuss oder Röstnoten an, ähnlich wie beim Rotwein. Je länger, desto intensiver.
Was ist ein Angels’ Share?
Jedes Jahr verdunstet etwa 10 Prozent der Flüssigkeit durch die Poren der Hölzer in die umgebende Luft. Das nennt man La part des anges bzw. Angels’ Share, den “Schluck”, den die Engel für sich als Anteil an der Schöpfung nehmen ;), wie uns Sophie mit einem Augenzwinkern erzählt.
Durch diese Verdunstung wird innerhalb des Fasses Raum frei, der sich mit Sauerstoff füllt. Dieser setzt dabei die sogenannte Oxidative Reifung in Gang, die wiederum Einfluss auf den Rum in Hinblick auf Farbe, Geschmack und Aroma hat.
Warum wird in Martinique Rhum Agricole hergestellt?
Der Rhum Agricole entstand, als der Absatz von Zucker nach Europa dramatisch zurückging. Denn die Insel war von 1794 bis 1802 britisch besetzt. Und Großbritannien hatte ein Jahr zuvor eine Seeblockade über französische Hafenstädte verhängt. Auf diese Weise sollte Frankreich von seinem Überseehandel abgeschnitten werden.
Napoleon reagierte daraufhin mit einer Förderung der einheimischen Zuckerrübenproduktion. Denn einige Jahre zuvor hatte der Berliner Chemiker Andreas Sigismund Markgraf erstmals den Zuckergehalt in Runkelrüben entdeckt.
Infolgedessen ging die Zuckerproduktion auf den Karibikinseln zurück, sodass den Destillerien zur Herstellung von Rum weniger Melasse zur Verfügung stand.
So begann man auf Martinique ausschließlich frischen Zuckerrohrsaft für die Produktion zu nutzen.
Was hat Victor Schœlcher mit der Qualität des Rum zu tun?
Auch Victor Schœlcher, der französische Politiker und Gegner der Sklaverei in den französischen Kolonien, trug mittelbar zur Qualität des Rums von Martinique bei. Er war Initiator des Décret d’abolition de l’esclavage (Dekret zur Abschaffung der Sklaverei), die am 22. Mai 1848 in Paris proklamiert wurde. Er konnte die freigelassenen Sklaven in Martinique dazu bringen, ihre Sklavenhalter nicht wie in den anderen Kolonien zu töten oder zu vertreiben. Somit rettete er das wertvolle Know-how der Rumherstellung auf Martinique.
Was sind die bekanntesten Destillerien auf Martinique?
Einige der renommiertesten Hersteller, die diese traditionelle Methode anwenden, sind:
- Habitation Clément (Le François)
- Depaz (Saint-Pierre)
- La Favorite (Fort-de-France)
- Neisson (Le Carbet)
- J.M (Macouba)
- Saint James (Saint-Marie)
- Maison La Mauny (Rivière Pilot)
Nur Brennereien, die alle Kriterien erfüllen, dürfen den Titel “Rhum Agricole AOC Martinique” tragen. Es gibt jedoch auch einige Destillerien, die sich den Regeln nicht beugen wollen und dennoch hervorragende Rumsorten herstellen. Probieren lohnt sich also!
Was ist das Besondere an den karibischen Destillationskolonnen?
Nun, diese colonnes créoles sind ein kleines Wunderwerk der Destillationstechnik, die 1694 durch den Pater (!) Jean-Baptiste Labat auf Martinique maßgeblich verbessert wurde. Sie bestehen aus einem Stapel von Böden, die einen hohen vertikalen Zylinder bilden.
In diesen Böden befinden sich innen ringförmig angeordnete Hauben, die den von unten strömenden Dampf durchlassen, den Ethanol aus dem zugeführten Wein extrahieren und unerwünschte Rückstände filtern.
Das Funktionsprinzip basiert auf dem Unterschied der Siedetemperaturen: 78,4 °C für Alkohol (Ethanol) gegenüber 100 °C für Wasser. Durch die Steuerung der Erhitzung ist es somit möglich, die beiden Komponenten voneinander zu trennen. So entsteht schließlich im oberen Teil reiner Alkohol, der sich als Kondensat flüssig absetzt.
Der Dampf wird erzeugt durch die Verbrennung der getrockneten bagasse, den Rückständen aus dem Pressvorgang. So ist die Destillerie aus energetischer Sicht nahezu autark.
Am oberen Ende der Kolonne gelangen die Dämpfe in die Kondensatoren und anschließend in den Kühler. Der Teil mit dem geringsten Alkoholgehalt wird wieder in die Kolonne zurückgeführt. Der Teil mit dem höchsten Alkoholgehalt bildet den Rum, der schließlich zur Reifung gelangt.
Der Rhum Agricole Martinique darf laut AOC mit einem Alkoholvolumen von maximal 75 % vol. aus der Kolonne kommen. Dadurch bleiben viele der natürlichen, frischen Zuckerrohraromen im Destillat erhalten.
Heutzutage sind die Kolonnen so konzipiert, dass eine kontinuierliche Destillation möglich ist: Die Zufuhr von vergorenem Zuckerrohrsaft und die Rumherstellung erfolgen in einem ununterbrochenen Prozess.
Auch die Anzahl der Tablett-Böden werden durch die AOC-Vorschriften geregelt: 15 bis 25 für die Entleerung und 5 bis 9 für die Konzentration.
Was ist Ti Punch?
Ti Punch (ti ist die kreolische Abkürzung für petit, wörtlich also „kleiner Punsch“) besteht aus weißem Rhum Agricole, Limette und Rohrzucker. Er wurde zur Feier der Abschaffung der Sklaverei 1848 erfunden.
Wie wird Ti Punch zubereitet?
Zunächst kommt der Zucker (alternativ auch Zuckerrohrsirup) ins Glas, anschließend wird darüber ein Limettenviertel sanft ausgepresst. Erst danach gießt man den Rum dazu und rührt traditionellerweise mit einem bois-lélé, einem Holzlöffel mit kleinen Zweigen am Ende um. So erklärt es uns Fabrice Guitteand, Ambassador von Depaz et Dillon.
Wie wird Ti Punch serviert?
Üblicherweise wurden dem Gast die Zutaten einzeln gereicht, die Flasche wird auf den Tisch gestellt. Das hatte den Hintergrund, dass man niemanden beleidigen wollte, wenn man etwa zu wenig Rum ins Glas getan hatte. Denn damit hätte man angedeutet, dass der Gast zu schwach für das harte Getränk wäre. Jeder sollte seinen Ti Punch selbst zubereiten können. Und so kursiert der Spruch : chacun prépare sa propre mort, was sinngemäß bedeutet: „Jeder kann seinen Tod selber zubereiten“ 😉
Heute wird Ti Punch in Restaurants jedoch meist fertig im Glas serviert, auch mit Wasser und Eis, was eigentlich unüblich ist. Aber für Tourist:innen werden eben Ausnahmen gemacht.

Wer ist CODERUM?
CODERUM ist eine Organisation, die alle in Martinique bestehenden Rum-Destillateure und Rohrzuckerproduzenten vertritt. Ziel ist es, Martinique als capitale mondiale du Rhum zu fördern, den Rum-Markt im In- und Ausland zu entwickeln und die lokalen Erzeuger zu schützen.
CODERUM wurde 1960 gegründet und repräsentiert über 2.000 Arbeitsplätze rund um die Rumproduktion.
Unser köstliches Food-Pairing mit Rum fand im Restaurant Carte Blanche von Chef Harold Jeanville in Trois-Ilets statt.
Reiseführer Martinique
Einen sehr ausführlichen Reiseführer über Martinique (auf Englisch) findet ihr auf der Website Meetmartinique, den unser Guide Magdaléna Miklovičová verfasst hat, die seit 11 Jahren auf der Insel lebt.
Santé ! Bzw. Alavot (auf Kreolisch) !
Siegbert Mattheis
Dieser Artikel wurde von uns redaktionell unabhängig verfasst. Der Besuch wurde durch das Comité Martiniquais du Tourisme (CMT) ermöglicht, ohne Einfluss auf die journalistische Arbeit. Es gilt unser Redaktionskodex.
Siegbert Mattheis, Jahrgang 1959, ist seit seinem ersten Italienaufenthalt 1977 vom mediterranen Lebensgefühl begeistert. Seitdem bereist er mehrmals im Jahr die Länder rund um das Mittelmeer. Nach seinen Studien Kommunikationsdesign, Philosophie, Wissenschaftstheorie und Kunstgeschichte gründete er eine Werbeagentur, die er seit 1998 gemeinsam mit seiner Frau Claudia Mattheis führt. 2002 bauten beide gemeinsam Ambiente–Mediterran.de auf, das inzwischen größte Lifestyle-Magazin rund um die mediterrane Kultur. Darüber hinaus ist er Fachjournalist und Fotograf, begeisterter Hobbykoch und Liebhaber stilvoller Einrichtung. Gründliche Recherche und Liebe zum Detail gehören zu seinen Leidenschaften. Mit seiner Frau lebt er in Berlin Prenzlauer Berg.
Zuletzt aktualisiert im November 2025 von Siegbert Mattheis



































