Am 1. November 1954 wird der Busfahrer Brahim Zeuge eines blutigen Anschlags. Der algerische Befreiungskrieg hat begonnen. Die seit 1830 in Algerien herrschende französische Kolonialmacht wird in ihren Grundfesten erschüttert. Frankreich hat den Angriff nicht kommen sehen. Dabei gab es deutliche Vorzeichen …
Algerien ist seit 1962 unabhängig
Im Jahr 1962 beenden die Verträge von Évian den acht Jahre andauernden gewaltsamen Konflikt zwischen der französischen Armee und den Truppen der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN. Sie besiegeln nach über 130 Jahren französischer Besatzung die Unabhängigkeit Algeriens und das Ende des Algerienkriegs. Anhand von Zeitzeugenberichten und Archivmaterial beleuchtet die sechsteilige Dokumentationsreihe Der Algerienkrieg eines der dunkelsten Kapitel französischer Kolonialgeschichte.
Anfang vom Ende des Kolonialreichs
Bei dem Anschlag am 1. November 1954 erschießen bewaffnete Männer drei französische Passagiere des Überlandbusses. Der Angriff ist Teil einer Anschlagsserie, die an diesem Tag ganz Algerien erschüttert. Dieses „Blutige Allerheiligen” ist der erste Tag des letzten französischen Kolonialkriegs, der Anfang vom Ende des Kolonialreichs. Zur gleichen Zeit tritt eine ganze Generation ins Erwachsenenalter ein. Im ersten Teil, der Doku erzählen Héliette, Slimane, Simone, Bernard, Messaoud und Zineb über das Algerien, in dem aufgewachsen sind. Es ist ein riesiges Land mit neun Millionen Einwohner:innen, die nebeneinander, aber nicht immer miteinander leben. Alle haben ihr eigenes Algerien, ihre eigene Geschichte.
Frankreich ist stolz auf seine Kolonie. Seit Generationen leben hier Französ:innen – und achtmal so viele Algerier:innen. Doch die Mehrheit hat nicht dieselben Rechte wie die Minderheit – eine Diskriminierung, die der Unabhängigkeitskämpfer Messali Hadj und andere Politiker wie Ferhat Abbas seit Jahrzehnten anprangern. Langsam bahnt sich die Vorstellung einer von Frankreich unabhängigen, algerischen Identität ihren Weg in die Köpfe der Menschen.
1954 haben viele Algerier den Glauben an den diplomatischen Kampf innerhalb der kolonialistischen Ordnung verloren. Sie wollen mit Waffen statt Worten sprechen, gehen in den Untergrund und gründen die paramilitärische „Organisation Spéciale” (OS). Sie sammeln Munition, treffen sich heimlich in den Bergen der Kabylei und des Aurès und bereiten sich auf den Kampf vor. Mit den Allerheiligen-Anschlägen entdeckt Frankreich einen neuen Gegner: die Nationale Befreiungsfront FLN.
8 Jahre Algerienkrieg
Je unnachgiebiger sich Frankreich gegenüber der anfänglichen Revolte zeigt, desto berechtigter scheint der Unabhängigkeitskampf den Algeriern. Während die FLN Guerillataktiken und blinden Terror in den Städten einsetzt, ist die französische Armee zu allem bereit, um den Aufstand zu brechen. Als Charles de Gaulle in Frankreich an die Macht kommt, ist er für die Verfechter eines französischen Algeriens der Mann der Stunde, bevor er den Algeriern die Entscheidung über ihre Zukunft selbst überlassen will. Das “Ja” beim Referendum schürt die Wut vieler Militärs und Pieds Noirs. Erst im März 1962 wird endlich der Waffenstillstand unterzeichnet.
Die Dokumantation basiert hauptsächlich auf den Aussagen derjenigen, die den Algerienkrieg in Frankreich, Algerien oder im Exil erlebt haben.
Die Reihe ist Teil des ARTE-Jubiläumsprogramms aus Anlass des 30-jährigen Bestehens des Senders und steht bereits in der ARTE-Mediathek zur Verfügung. Sie wird am 1. und 2. März 2022 ab jeweils 21:45 Uhr im TV ausgestrahlt.
Ich selbst hatte in den 1990er Jahren einen dieser FLN-Kämpfer in Algier kennengelernt. Hamid Masri gehörte in den 1970er Jahren als Erdölminister der Regierung unter dem zweiten Präsidenten Algeriens, Ahmed Ben Bella an und konnte uns vieles vom Algerienkrieg und der nachfolgenden Zeit erzählen.
Er war der Vater meiner damaligen Freundin und hatte ihre Mutter in den 19960er Jahren in der DDR kennengelernt, wo er einige Monate im Zuge eines sozialistischen Ausbildungsprogramms lebte. Sein jüngerer Bruder Djilali war in den 1990er Jahre algerischer Botschafter in Berlin.
Siegbert Mattheis
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